Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
Tagebuch an, ungefähr in derselben Position, die wir gerade durchlaufen. Während der vergangenen Woche hat es mich oft bewegt, wie anders als heute meine Lage und meine Ansichten damals waren: Es amüsiert mich, mir meine Überraschung vorzustellen, hätte mir damals in den Bergen von Wales irgendjemand ins Ohr geflüstert: An diesem Tag nächstes Jahr wirst du vor der Küste Patagoniens kreuzen .
Mir geht es im Moment nicht viel anders. Vor gut einem Jahr stand ich im Museum für Naturgeschichte in New York vor einer wandgroßen Reproduktion jener Weltkarte, die mit feinen Linien die Route von Darwins Reise nachzeichnet und sich heute im Kleinformat in meinem Gepäck befindet. Hätte mir damals jemand anvertraut, ich würde sechzehn Monate später vor den Gestaden Argentiniens auf einem Containerschiff durch den nächtlichen Atlantik fahren, hätte ich nicht minder überrascht reagiert als der junge Reisende in der Fantasie seiner Rückblende.
Doch dann, im kühlen Museum, geschieht etwas Unerwartetes, eine jener scheinbar nebensächlichen Begebenheiten, die dem Lebensweg urplötzlich eine neue Richtung geben. Eine zierliche Frau mit zusammengebundenem weißem Haar und schwarzem Hängekleid, eine von denen, deren Schönheit auch im Alter nicht vergeht, führt eine Gruppe Jugendlicher vor die Karte mit Darwins Route. Keine tobende Meute, sondern eine lauschende Schar, so hält die kleine Dame ihre Begleiter in Bann. Sie gibt ihnen lange Zeit zum Schauen, dann sagt sie einen einzigen Satz in die andächtige Stille: »Hier könnt ihr sehen, wo die Natur zu ihm gesprochen hat.«
In diesem Moment habe ich meinen Entschluss gefasst. Als Biologe ist mir Darwins Evolutionslehre vertraut, als Wissenschaftshistoriker auch seine Lebensgeschichte mit der Weltumrundung als frühzeitigem Höhepunkt. Doch was ist auf der Reise, der einzigen seines Lebens, mit ihm passiert und was in ihm? Wie hat sich der Amateur unter den Naturkundlern, ein junger Mann ohne jede formale Ausbildung,
während der fünf Jahre in einen Forscher verwandelt, der bald alle anderen überragen würde? Wie der angehende Priester in einen rationalen Denker, der sich später von Gott abwenden und das kalt wirkende Bild einer Entwicklung ohne Plan zeichnen würde, einer sich selbst überlassenen Schöpfung?
Was hat ihn als weisen Alten, längst zur Ikone gereift, in seinen Erinnerungen schreiben lassen: Die Reise der ›Beagle‹ ist das bei weitem bedeutungsvollste Ereignis in meinem Leben gewesen ? Um das herauszufinden, will ich ihm nachfahren, ganz allein seine Strecke hinter mich bringen, die Orte aufsuchen, wo sich sein Erwachen und sein Sinneswandel vollzogen haben könnten - aber auch moderne Forscher und Labore, in denen der Mensch das Leben erforscht oder sich zum Autor der Evolution aufgeschwungen hat und versucht, Gott zu spielen.
Das Leben wird oft mit einer Reise verglichen. Aber gleichen Reisen nicht umgekehrt auch dem Leben? Beide haben einen Anfang und ein Ende, Geburt und Tod, dazwischen liegen Kindheit, Jugend, Reife und Alter. Eine Reise lässt sich darum ebenso wenig wiederholen wie ein Leben. Wer es dennoch versucht, vergeht sich an seinen Träumen. Was wir suchen, finden wir ohnehin nicht. Aber mit ein wenig Glück entdecken wir etwas, dem wir bisher nicht nachgespürt haben. In diesem Punkt will ich mir Darwin zum Vorbild nehmen: Er zieht los, als habe er von Anfang an verstanden, dass eine Weltreise dazu da ist, sich ein Bild von der Welt zu machen.
Die Fahrt der Beagle hat Darwin nicht nur um den Globus geführt. Sie steht am Beginn einer geistigen Reise, die unser heutiges Selbstverständnis als Menschen begründet. Als Erster formuliert er eine weltumspannende Theorie des Lebens und stellt die menschliche Existenz wie die aller Lebewesen auf eine natürliche, materielle Grundlage. Wir gehen alle auf denselben Ursprung zurück. Unsere Stammbäume bilden zusammen den Baum des Lebens. Erst vor erdgeschichtlich kurzer Zeit hat sich unsere Linie von der anderer Urmenschen getrennt, davor von Vormenschen, Affen, Plazenta-, Säugeund Wirbeltieren, Vielzellern, Einzellern, Bakterien.
Nicht ein planender Gott hat die überbordende Vielfalt des Lebens erschaffen, sondern ein planloser Prozess, in dem sich Zufall und Notwendigkeit verbinden. Wir haben uns wie alle anderen Lebewesen (gemeinsame Abstammung) durch den Mechanismus der natürlichen
Auslese (Selektion) allmählich zu dem entwickelt (Evolution), was wir sind. Seit Darwin
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