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Darwinia

Darwinia

Titel: Darwinia Kostenlos Bücher Online Lesen
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Bist du auch sicher, dass du das willst?«
    »Ich wollte nie etwas anderes.«
    Der uralte Guilford nickte. Er hatte Verständnis – zumindest der älteste Teil von ihm. »Und das Leid…«
    »Ja«, sagte Guilford kategorisch. »Auch das Leid.«

 
Epilog
     
     
     
    SPÄTSOMMER, 1999
     
    Karen kam von ihrem Morgenspaziergang zurück und erzählte Guilford, dass ein riesiges Seerad angespült worden sei. Gleich nach dem Lunch (Sandwichs auf der Veranda, auch wenn Guilford nicht mehr als einen Bissen hinunterbekam) ging er los, um sich das maritime Wunder anzusehen.
    Er nahm sich Zeit, vergeudete keine Kraft. Er folgte dem Pfad, der vom Haus zum Strand führte, durch dichten Farn und unter Glockenbäumen, aus denen der Sommernektar tropfte. Die Beine taten ihm schon weh, da war er kaum losgegangen, und als er das Meer sah, war er außer Atem. Die Oro-Delta-Küste hatte mit das mildeste Klima von Darwinia, doch der Sommer war meist lähmend feucht und immer heiß. Wolken stapelten sich über dem windstillen Mittelmeer und erinnerten an pompöse Marmorpaläste oder die Kathedralen des alten Europas.
    Der Sturm vergangene Nacht hatte das Seerad weit auf den Steinstrand geworfen. Guilford umrundete das Ding respektvoll.
    Es war gewaltig, beinah sechs Fuß im Durchmesser, weiß gesprenkelt, eher elliptisch als kreisförmig und an einer Stelle gebrochen. Andererseits sah es einem Wagenrad erstaunlich ähnlich, als stamme es von irgendeinem Unterwassercaravan.
    Tatsächlich handelte es sich um eine Art Gemüse, eine Tiefseepflanze mit der für Darwinia typischen Hohlraumsymmetrie.
    Komisch, dass es ausgerechnet den Strand hinter seinem Haus beehrte. Welche Kräfte, welche Strömungen oder Wasserbewegungen mochten das Seerad aus seiner Verankerung gelöst haben? Vielleicht fand ja die ökologische Auseinandersetzung zwischen darwinischem und terrestrischem Leben selbst da unten in diesen lichtlosen Tiefen statt?
    Zu Guilfords Lebzeiten hatten die blühenden terrestrischen Pflanzen begonnen, ihre trägeren darwinischen Doppelgänger zu verdrängen. So hatte er neulich am Straßenrand zwischen Tilson und hier einen Flecken wilder, sommerblauer Winden entdeckt. Doch einige darwinische Arten schlugen zurück; so sollten Seidenspitze und falsche Anemone südlich der Mason-Dixon-Trasse schon fast wieder zum Landschaftsbild gehören.
    Das Seerad, ein zartes Ding im Grunde, würde bis morgen Mittag schwarz und verwest sein. Guilford wandte sich heimwärts, doch der Schmerz unter der letzten Rippe machte ihm zu schaffen, und so beschloss er, einen Moment auszuruhen. Er zog sein Taschentuch durch einen Tümpel, den die Flut hinterlassen hatte, und wischte sich das Gesicht, schmeckte das Salz auf den Lippen. Wie nicht anders zu erwarten, fiel ihm das Atmen schwer. Letzte Woche hatte man ihm in der Tilson Rural Clinic die Röntgenaufnahmen gezeigt, die allzu leicht zu interpretierenden Schatten auf Leber und Lunge. Eine Operation hatte Guilford abgelehnt, auch eine Strahlenbehandlung. Der Gaul war zu alt für solche Strapazen.
    Genötigt, eine Weile zu sitzen, bewunderte er die Fremdheit des Seerads, das hier so ganz und gar fehl am Platze war. Treibgut an fremden Gestaden: Jaja, ich weiß, wie das ist.
    Der Sturm vergangene Nacht hatte die Luft gereinigt.
    Guilford betrachtete die glänzende See, in der sich das Blau des Himmels spiegelte. Er pfiff Melodien durch die Zähne, bis er sich wieder rüstig fühlte.
    Karen würde schon warten. Er hatte ihr nichts von dem Gespräch mit dem Arzt erzählt, jedenfalls nicht alles, obwohl sie etwas zu ahnen schien. Sie würde damit fertig werden, aber er fürchtete die Anrufe von Freunden, vor allem den unvermeidlichen Anruf von Lily mit all seinen Konsequenzen: ein letzter Besuch, alte Sünden und alter Gram, die wie stumme Vögel herumgeistern würden. Nicht dass er sie nicht gerne wiedersähe, doch Lily war inzwischen selbst ziemlich gebrechlich. Wenigstens würde er sie nicht überleben. Kleiner Trost, dachte Guilford.
    In Anbetracht solch düsterer Grübeleien war es nicht weiter verwunderlich, dass, als er sich erhob und dem gestrandeten Seerad den Rücken kehrte, er den Wachsoldaten sah. Das Phantom wartete ein paar Yards entfernt am Steinstrand.
    Guilford ging darauf zu wie auf einen alten Bekannten. Der Wachsoldat sah hager und jungenhaft aus. Das war nicht sein Doppelgänger, längst nicht mehr. Das war jemand anderes. Jünger, älter.
    Er taxierte die schwach flackernde Erscheinung.

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