Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Darwinia

Darwinia

Titel: Darwinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
aufrichtete, drückte er ab.
    Ein sauberer Schuss in den bleichen und verletzlichen Bauch. Das Monstrum taumelte und fiel – verwundet, nicht tot, aber es schien zu nichts anderem mehr fähig, als auf dem Rücken zu liegen und sinnlos mit seinen Scheren zu schnappen. Guilford sprintete über ein Feld aus Granitstaub in Richtung Brunnen, fieberhaft bedacht, Deckung zu finden, denn der Knall mochte weitere Kreaturen anlocken.
    Er entdeckte Tom Compton, der hinter einem Mauerstück hockte und sich den Hals hielt.
    »Die Bestien haben mir fast den Kopf abgerissen«, sagte der Grenzer. Er spie ein rotes Taubenei in den Staub.
    Also können wir noch bluten, dachte Guilford. Wie im Bois Belleau. Wie Menschen.
    Er nahm Tom beim Arm. »Kannst du laufen?«
    »Ich hoffe doch. Wär zu schade, jetzt schon den Geist aufzugeben.«
    Guilford half ihm auf. Die Halswunde sah böse aus, so böse wie die anderen Wunden. Ein schwacher Schein blakte aus dem zerstörten Körper. Ein Rest von Magie.
    »Still jetzt«, mahnte Tom.
    Sie erreichten die Kuppe eines Trümmerbergs, alles, was noch übrig war von einem Dom, der zehntausend Jahre in der Stille dieses menschenleeren Kontinents gestanden hatte. Im Norden und im Westen flammte Gewehrfeuer auf.
    »Kopf runter!«, zischte Tom. Sie arbeiteten sich Zoll um Zoll voran, atmeten Staub, bis sie den Mund voller Sandpapier und den Hals voller Rost hatten. Ich entsinne mich, dachte Guilford: Tom Compton, der First Sergeant, der ihn durch das Weizenfeld nach Château-Thierry geschleift hatte, umsonst, denn er war vom Tod gezeichnet gewesen… Über messerscharfe Granitsplitter, bis sie endlich den Brunnen sahen, heller als Guilford ihn in Erinnerung hatte, strahlend, am bröckelnden Rand zwei wachsame Monster mit huschenden, sichernden Augen, in denen eine böse Intelligenz glomm.
     

     
    Elias Vale wunderte sich, dass ihm diese schrecklich deformierten Finger noch gehorchten. Das Sturmgewehr konnten sie jedenfalls noch abfeuern. Er verwandelte sich auf eine Weise, über die er lieber nicht nachdachte. Auch die Männer ringsum verwandelten sich, manche erinnerten nicht einmal mehr entfernt an Menschen. Aber das ging in Ordnung. Er befand sich dicht am Brunnen der Auferstehung und verrichtete heilige und unaufschiebbare Arbeit. Er spürte die Nähe der Götter.
    Seine Sehkraft hatte sich leicht verändert. Er stellte fest, dass er im Halbdunkel die leiseste Bewegung wahrnahm. Alle Sinne hatten sich verändert. Die Angreifer rochen nach gepökeltem Schweinefleisch. Der Regen, der auf seine gekörnte Haut fiel, war zugleich kalt und wohltuend. Gewehrfeuer war schmerzhaft laut, sogar das Knirschen der Kiesel war eine Symphonie aus diskreten Tönen.
    Geschärft war auch der Sinn, dessentwegen sich die Götter überhaupt erst für ihn interessiert hatten, seine Fähigkeit, zumindest ein Stückchen weit in die menschliche Seele blicken zu können. Die Wesen, die die heilige Stadt angriffen, waren nur zum Teil menschlich – zum Teil waren sie etwas viel Älteres und Größeres –, aber er spürte die Gestalt ihres Lebens, jede Bitterkeit und jede Achillesferse. Diese Gabe konnte sich noch als hilfreich erweisen.
    Das Gewehr war nicht seine einzige Waffe.
    Er kauerte hinter einem Granitblock, derweil zwei Männer, deren Verwandlung schon fast abgeschlossen war, am Rand des Brunnens patrouillierten. Er spürte – was allerdings unbeschreiblich war – die ungeheure Lebensenergie, die von diesem Ort ausging, von den Göttern, die in dem Nichtraum tief unten in der Erde eingesperrt waren und sich nach Inkarnation verzehrten.
    Eine ganze Armee von Göttern.
    Und er spürte die Gegenwart von zwei halb sterblichen Männern, die sich von Norden näherten.
    Er pflückte ihre Namen aus der glühenden Luft: Tom Compton. Guilford Law.
    Uralte Seelen.
    Vale nahm das Gewehr an die schwärende Brust und lächelte.
     

     
    Tom sagte: »Ich komme von links und lenke sie mit ein, zwei Schüssen ab. Du tust, was du kannst.«
    Guilford nickte und sah zu, wie sein schwer verwundeter Freund davonkrabbelte.
    Der Brunnen war ein Einschluss in der Ontosphäre, das Werk von Algorithmen, eine nadelstichgroße Luke in die Binnenarchitektur des Archivs. Da hinein konnte der göttliche Guilford nur über eine Inkarnation gelangen: Guilford hatte ihn hierher gebracht, doch der Kampf am Grund des Brunnens, die Bannung, das war einzig und allein Sache der Götter. Aber ich bin todmüde, dachte Guilford. Ich komme um vor

Weitere Kostenlose Bücher