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Das alte Siegel

Das alte Siegel

Titel: Das alte Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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gewöhnlichen Begegnungen Hugos Herz und Zunge. Da die schwarzgekleidete Unbekannte ihren Schleier zurück geschlagen hatte, und grüßte, da man einige der gewöhnlichen Worte geredet hatte, sagte Hugo, daß er jetzt sehr wahrscheinlich nicht mehr lange in der Stadt bleiben werde; denn wenn, wie es den Anschein gewinne, ein neuer Krieg gegen den Landesfeind erklärt werden würde, so werde er in die Reihe der Krieger gegen denselben treten, und weil sich wahrscheinlich viele tausend Jünglinge insgeheim zu diesem Ziele vorbereitet haben würden, so sei es vielleicht möglich, daß man den Feind aus den Grenzen werfen und das Vaterland für immer befreien könne. Zu dieser That habe er sein Herz und sein Leben aufgespart. Er frage sie, ob sie ihm so gut sein könne, als er ihr es sei - sie möchte sich ihm doch einmal, einmal nennen, wer sie sei - - nein das brauche er nicht - sie möchte ihm nur sagen, ob sie unabhängig sei, ob sie, wenn sie ihn einmal näher kennen gelernt haben würde, ihm folgen und sein Loos mit ihm theilen möge - er werde ihr alles darlegen, wer er sei und woher er stamme - nur die That der Vaterlandsbefreiung habe er noch mit zu thun, sie könne ja so lange nicht dauern, weil viele hundert Tausende dazu beihelfen würden - er habe einen traulichen Sitz im fernen Gebirge, dorthin würden sie dann gehen. Oder wenn sie abhängig sei, wäre es denn nicht möglich, daß er zu ihrem Vater, zu ihren Angehörigen käme, sich bei ihnen auswiese, von ihnen kennen gelernt würde, und dann um sie bäte. Sei sie aber frei und ihre eigene Herrin, wäre er denn nicht würdig, ihr Haus zu betreten? Er meine es treu und gut; so lange er lebe, sei keine Faser an ihm gegen irgend einen Menschen falsch gewesen. Sie möchte nun, da er geredet habe, auch reden.
    Diese Worte hatte er eilig gesagt, und sie heftete die sanften Augen auf ihn.
    Dann aber sagte sie: »Was das Schicksal will, das muß geschehen. Sucht mich eine Woche lang nicht in dieser Gasse, auch nicht vor der Kirche; ihr werdet mich anderswo sehen. Kommt über acht Tage, genau am heutigen Tage, um zehn Uhr vor das Kirchenthor, dort werdet ihr Nachricht von mir erhalten.«
    Nach diesen Worten sagte sie, halb zu ihrer Begleiterin gewendet: »Dionis wird es machen.«
    Dann sprach sie wieder zu Hugo: »Vergeßt nicht, was ich gesagt habe, kommt meinen Worten getreu nach, und lebt jetzt recht wohl!«
    Sie wollte den Schleier umnehmen und fortgehen, aber Hugo rief: »Jetzt nicht, nur einen Augenblick noch nicht - - den Namen, nur eine Silbe des Namens!«
    »Cöleste,« sagte sie leise.
    »Und die Hand, daß wir uns sehen, die Hand, Cöleste!«
    Und sie suchte eilig die Hand aus der Kleiderhülle, und reichte sie ihm hin. Er faßte sie, und sie hielten sich einen Augenblick.
    Dann ließen sie los, sie zog den Schleier herab, er grüßte noch einmal, und beide gingen sie dann ihre verschiedenen Wege auseinander, wie sie sie bisher immer gegangen waren.
     
     

3. Das Lindenhäuschen
     
    Es geht die Sage, daß, wenn in der Schweiz ein thauiger sonnenheller lauer Wintertag über der weichen, klafterdicken Schneehülle der Berge steht, und nun oben ein Glöckchen tönt, ein Maulthier schnauft, oder ein Bröselein fällt - sich ein zartes Flöckchen von der Schneehülle löset, und um einen Zoll tiefer rieselt. Der weiche, nasse Flaum, den es unterwegs küs
    set, legt sich um dasselbe an, es wird ein Knöllchen und muß
    nun tiefer nieder, als einen Zoll. Das Knöllchen hüpft einige
    Handbreit weiter auf der Dachsenkung des Berges hinab. Ehe man dreimal die Augen schließen und öffnen kann, springt schon ein riesenhaftes Haupt über die Bergesstufen hinab, von unzähligen Knöllchen umhüpft, die es schleudert, und wieder zu springenden Häuptern macht. Dann schießt's in großen
    Bögen. Längs der ganzen Bergwand wird es lebendig, und
    dröhnt. Das Krachen, welches man sodann herauf hört, als ob viele tausend Späne zerbrochen würden, ist der zerschmetterte Wald, das leise Aechzen sind die geschobenen Felsen - dann kommt ein wehendes Sausen, dann ein dumpfer Knall und
    Schlag - - dann Todtenstille - nur daß ein feiner weißer Staub in der Entfernung gegen das reine Himmelsblau empor zieht, ein kühles Lüftchen vom Thal aus gegen die Wange des Wanderers schlägt, der hoch oben auf dem Saumwege zieht, und daß das Echo einen tiefen Donner durch alle fernen Berge rollt. Dann ist es aus, die Sonne glänzt, der blaue Himmel lächelt freundlich, der

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