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Das alte Siegel

Das alte Siegel

Titel: Das alte Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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komme; nur möchte er jetzt nicht mehr vor der Kirche oder in jener Gasse mit ihr zusammen treffen, wo er sie bisher gesehen, und auch ein paar Male mit ihr gesprochen habe. Hugo sagte, daß er ihre Worte befolgen werde, verbeugte sich und ging fort. In den Vorzimmern, welche ihm das Mädchen aufgeschlossen hatte, das er sonst immer in grauen Kleidern der Gebieterin aus der Kirche folgen gesehen hatte, saß an einer Arbeit dasselbe Mädchen, war aber heute nicht grau, sondern in die gewöhnlichen bunten Kleider ihrer Gattung gekleidet. Es stand auf, da Hugo das Zimmer betrat, und öffnete wieder die Schlösser, um ihn hinaus zu geleiten. Unten im Erdgeschoße sah Hugo neben dem Ausgangsthore ein Stübchen, dessen Thür zur oberen Hälfte aus Glas bestand. Daraus sah das Gesicht eines Thürstehers heraus, und dieser machte, da Hugo heraus ging, demselben eine Verbeugung, und lüftete den Hut. Hugo hatte beim Hereingehen auf jene Stelle nicht hin gesehen.
    Draußen standen die Häuser in zwei Reihen dahin und bildeten die Straße. Staub wogte in ihnen, und die beinahe steilrecht herein fallenden Mittagsstrahlen der Sonne beschienen ihn. Die Menschen wandelten in der Straße hin und zurück, wie sie von ihren Geschäften gezogen wurden. Hugo ging nach Hause und saß in seinem Zimmer nieder. Da die Stunde schlug, in welcher er gewöhnlich zu seinem Mittagessen zu gehen pflegte, stand er auf, und ging in das Gasthaus, wie er es bisher alle Tage gethan hatte. Nachmittag saß er bei seinen Arbeiten und am Abende ging er auf den Anhöhen um die Stadt spazieren, wie er bisher auch immer gethan hatte.
    Als die drei Tage vorüber waren, ging er am letzten derselben, da eben die vierte Nachmittagsstunde schlug, in der wohlbekannten Vorstadtstraße dahin. Er kam zu dem Garten, und das weiße Häuschen schimmerte ihm aus den Linden, wie ein schönes Geheimniß entgegen. Er öffnete das Gartengitter, das heute eingeklinkt, nicht wie damals, wie er hereinfuhr, geöffnet war, that es hinter sich zu und ging den bekannten Sandweg entlang. Der Garten hatte nur Grasplätze und Zierbäume, keine Blumen oder Obst tragende Bäume oder Gesträuche. In dem Stübchen unter dem Thorwege sah er denselben Thürsteher aus dem obern Theile der Glasthür heraus sehen. Er war ein schon sehr betagter Mann. Hugo ging die Treppe hinan, klingelte an der äußern Thür der Wohnung, und dasselbe Mädchen, welches sonst immer da war, öffnete ihm auch heute, und geleitete ihn zu der Gebieterin hinein. Diese war ihm bis in das äußerste Zimmer entgegen gekommen, und führte ihn dann, wie das erste Mal, in ihr Arbeitsgemach zurück. Sie war heute wieder nicht in ihr Schwarz, in dem er sie kennen gelernt hatte, gekleidet, sondern, wie das erste Mal mit grauer Seide, war sie heute mit dunkelgrüner angethan. Jedes der Kleider war sehr einfach, aber sehr edel gehalten. Im Stoffe reich, spannten sie um die Hüften, und flossen dann in ruhigen Falten hinab. So wie das vorige Mal hatte sie auch heute gar keinen Schmuck an sich, nicht einmal einen Ring an einem Finger - das Kleid schloß an dem Halse, dann war das Haupt mit den gescheitelten braunen Haaren, und den glanzvollen großen Augen, mit denen sie ihn ansah, als er hereingetreten war. Hugo war nun in dem Zimmer - heute hatte er schon mehr Macht gehabt, die andern Zimmer, durch die er gekommen war, zu betrachten. Sie waren ohne Prunk, fast möchte man sagen, zu dünne, aber sehr vornehm eingerichtet. Er legte seinen Hut ab, und setzte sich auf denselben Sessel, wie das erste Mal. Sie saß in den Kissen des Sophas, und sah auf ihn hin. Sie fragte ihn, ob er, seit sie sich nicht gesehen haben, immer wohl gewesen sei, und ob er ihrer gedacht habe. Er antwortete, daß er wohl sei, und daß er nicht nur ihrer gedacht, sondern daß er fast sonst nichts gedacht habe, als sie. Sie war bei seinem Eintreten wie das erste Mal erröthet, und bei diesen Worten erröthete sie noch mehr.
    Sie hatte ihn das vorige Mal gar nicht um seinen Namen oder etwa um andere Verhältnisse gefragt, sie that es auch heute nicht. Er aber erzählte ihr freiwillig, daß er ein fernes Haus auf sehr schöner grüner Halde habe, um die hohe Berge mit ehrwürdigen Häuptern stehen - er erzählte ihr von seiner Jugend, die er so vereinsamt verlebt habe, und in der er so glücklich gewesen sei, er erzählte ihr von seinem Vater, der ihn unterrichtet und mehr geliebt habe, als er verdiente, er erzählte ihr von dem Abschiede von diesem Vater, von

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