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Das alte Siegel

Das alte Siegel

Titel: Das alte Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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Brieftasche hervor und legte das Schreiben hinein.
    Das Mädchen, welches mit ihm fuhr, beobachtete ihn eine Weile, dann sagte es: »Haben Sie den Brief gelesen?«
    »Ja,« antwortete Hugo.
    »Dann hat mir meine Gebieterin aufgetragen, Sie zu fragen, ob wir zu ihr fahren sollen, oder ob Sie an irgend einer andern Stelle aus diesem Wagen zu steigen wünschen.«
    »Wir fahren zu ihr,« antwortete Hugo.
    »Dann braucht der Kutscher keine weitere Weisung,« sagte das Mädchen, »er weiß schon, wohin er lenken soll.«
    Mit diesen Worten lehnte sie sich wieder in den Wagen zurück, und die beiden Miteinanderfahrenden redeten von nun an keine Sylbe mehr zu einander.
    Der Wagen rollte indessen sehr rasch dahin, und war bereits, wie Hugo bemerkte, in der Hauptstraße einer der Vorstädte, ziemlich weit von der Stadt entfernt.
    Endlich schwangen sich die Pferde von der Straße ab, und fuhren durch das Thor eines Gartens hinein, wie sie in den entfernten Theilen der Vorstädte noch häufig zwischen den Häusern liegen. In dem Garten ging ein breiter langer Sandweg zurück, auf dem man die Räder nicht rollen hörte, und führte einem weißen schönen Häuschen zu, welches zu beiden Seiten und rückwärts mit großen dichten Linden umgeben war, und nur mit der Stirne über die andern niedern Gebüsche des Gartens auf die Straße der Vorstadt hinaus sah. Vor dem Thore dieses Hauses hielt der Wagen. Das Mädchen stieg aus, Hugo folgte, und der Wagen fuhr wieder davon. Das Mädchen führte nun Hugo eine kurze breite Treppe hinauf, schloß zwei Thüren auf, und geleitete ihn in die einzige Wohnung, welche das Häuschen im ersten Geschoße enthielt. Es waren vier Zimmer in der Reihe, und ihre Thüren waren durch und durch offen. Im zweiten derselben stand sie, die ihn erwartete - es schien, als hätte sie ihm entgegen gehen wollen, von hier aus aber nicht weiter den Muth gehabt - sie stand an einem marmornen Spiegeltische, der an einem Pfeiler war, und hielt sich daran mit der einen Hand. Hugo hatte sie nur immer in dem alten schwarzen Kleide gesehen, heute aber war sie leicht und mit den Kleidern der Jugend angethan: er erschrack ein wenig; denn so schön und so schlank und so groß hatte er sie nicht gedacht. Von dem grauen Seidenkleide, das sie umfloß, blickten die weißen Hände und das lichte Antlitz sanft hervor. In den dunkelbraunen Haaren, welche besonders reich waren, trug sie gar nichts; aber diese Haare waren selber ein Schmuck, sie waren unbeschreiblich rein und glänzend, und die feinen Züge, und die großen Augen sahen darunter wie ein süßer Himmel heraus. Sie war sehr roth geworden, als er eintrat.
    Hugo hielt seinen Hut in der Hand, verbeugte sich vor ihr, und sagte gar nichts. Sie sprach auch nicht - und so standen sie einige Augenblicke. Dann fragte sie ihn, ob er nicht in ihr Arbeitszimmer mit ihr gehen wolle. Er ging mit ihr. In dem Zimmer stand ein Stickrahmen am Fenster, in der Ecke war ein Schreibtisch, dann waren die anderen Geräthe, die gewöhnlich in solchen Zimmern zu sein pflegen, kleine Tischchen, Schemel und dergleichen, an der Rückwand stand ein Sopha mit den dazu gehörigen Sesseln, und davor ein großer Tisch. Der Boden war mit schönen Teppichen belegt. Draußen wiegten sich die grünen Baumzweige der Linden, es spielten Sonnenstrahlen herein, daß gesprenkelter Schatten auf den Teppichen war. Sie setzte sich auf das Sopha, und lud ihn zum Niedersitzen ein. Er legte seinen Hut auf eines der Tischchen, und setzte sich auf einen Sessel vor den Tisch.
    Sie sprachen nun von gewöhnlichen Dingen. Hugo sagte, daß sehr viele Menschen auf dem Wege seien, um das Freie zu gewinnen, und dort einen Theil des Tages zuzubringen, der gar so schön sei. Sie lobte die Linden, die vor ihren Fenstern standen, und sagte, daß sie an so heitern Sommertagen, wie der heutige, einen äußerst angenehmen Geruch herein duften. Wenn aber große Hitze herrsche, dann zeigen sie erst ihre Trefflichkeit, weil sie Schatten und beinahe möchte man sagen, ein kühles erquickendes Lüftchen herein senden.
    Nachdem sie eine Weile so gesessen waren, stand Hugo auf, um sich zu empfehlen. Sie begleitete ihn durch die zwei Zimmer - denn das Arbeitszimmer war das dritte - und als sie in das letzte Zimmer hinaus gekommen waren, fragte er sie, ob er die Freude haben könne, sie wieder einmal besuchen zu dürfen. Sie sagte, daß er jeden dritten Tag um die vierte Nachmittagsstunde kommen dürfe, und daß sie sich freuen werde, wenn er

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