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Das alte Siegel

Das alte Siegel

Titel: Das alte Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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pflegt, traten wohl auch während des Gottesdienstes immer Menschen herein und hinaus; aber sie thaten, wie sie alle Tage thun: der eine blieb da, der andere schlug ein Kreuz, that ein kurzes Gebet und ging wieder. Oefter waren es Mädchen der dienenden Klasse, die einen kurzen Augenblick benützten. Sie setzten den Korb nieder, manche that ein leichtfertiges Gebet, manche ein brünstiges - dann nahm sie wieder ihre Last an den Arm und ging. Auch Frauen kamen - mancher ward von einem Diener das Gebetbuch nachgetragen - sie setzten sich in einen Stuhl und versenkten sich in ihre Andacht.
    Indessen war die Messe aus geworden, und es kam der Segen. Die schöne Weise des Dreimal heilig mischte sich mit dem Weihrauch, der nun empor stieg, sich oben mit den Sonnenstrahlen vermälte, und von ihnen vergoldet ward. Der Priester wendete sich, segnete mit dem Allerheiligsten, und alle klopften andächtig an die Brust. Es kam noch ein kurzer Gesang, und dann war der Gottesdienst aus. An den Seitenaltären war auch kein Priester mehr, man löschte nach und nach die Kerzen, und die Menge wendete sich zum Gehen, einer nach dem andern. Viele gingen an der Seitenthür hinaus, die meisten bei dem Hauptthore, und manche mußten an Hugo vorüber, ohne ihn aber zu beachten. Nur manches schöne Weiberauge, wenn es zufällig auf seine Züge fiel, war betroffen, und ihm gab es jedesmal einen Stich in das Herz. Die Kirche entvölkerte sich endlich ganz, und nur mehr ein paar unscheinbare Personen knieten in den Stühlen, wie überhaupt in einer großen Stadt eine Kirche in keinem Augenblicke des ganzen Tages vollkommen leer zu sein pflegt. Es war so stille geworden, daß er deutlich von außen herein die drei Glockenschläge vernehmen konnte, welche ihm verkündeten, daß bereits drei Viertheile der ihm anberaumten Zeit abgeflossen seien. Hugo wußte nicht, solle er den Rest noch abwarten, oder solle er fort gehen; aber, seinem Willen getreu, wollte er bis eilf Uhr harren.
    Es war so stille geworden, daß man das Rauschen der draußen fahrenden Wägen herein hören konnte.
    In diesem Augenblicke vernahm Hugo neben sich Tritte, es ging ein Mann zu ihm hinzu und sagte: »Ich danke euch recht schön, Herr, daß ihr die vermessene Bitte eines alten Mannes erhört habt und gekommen seid.«
    Der Mann war in der That alt, weiße Haare waren auf seinem Haupte und viele Runzeln im Angesichte. Sonst war er einfach und anständig gekleidet, und hatte weiter nichts Auffallendes an sich.
    Hugo war etwas unbestimmt über sein von dem nächsten Augenblicke gebotenes Benehmen, und schaute den Alten eine kleine Zeit lang an, dann sagte er: »Ich weiß nicht, wenn ich etwa irre, so verzeiht mir - ich habe für den Fall, daß es nöthig sein sollte, eine Kleinigkeit zu mir gesteckt.« - -
    »Ich bedarf kein Almosen und bin keines Almosens wegen hieher gekommen,« sagte der Alte.
    Hugo wurde mit einer brennenden Röthe übergossen und sagte: »Ihr wollt also mit mir sprechen - so sprecht. Aber wäre es nicht besser gewesen, wenn wir nicht die Kirche dazu gewählt hätten - wollt ihr etwa mit mir in meine Wohnung kommen?«
    Der Fremde sah Hugo an und sagte: »Ihr seid so gut, als ihr schön seid, Herr, ich habe mich in euch nicht geirrt. Aber ich bedarf auch keines Gespräches mit euch, so wie ich keines Almosens bedarf. Ihr habt mir eine große Wohlthat erwiesen, blos daß ihr gekommen seid. Ihr werdet das nicht verstehen, aber es ist doch wahr, daß ihr mir eine sehr große Wohlthat erwiesen habt. Ich kann euch jetzt gar nicht sagen, warum es so ist, und kann euch nur bitten, wenn ihr so gut sein wolltet, sofern es eure Zeit zuläßt, auch in Zukunft noch manchmal um diese Stunde hieher zu kommen.«
    »Das ist seltsam, sagte Hugo, und was haben denn meine blonden Haare dabei zu thun, daß ihr eigens auf dieselben aufmerksam gemacht habt?«
    »Ich habe euch nur daran erkannt, erwiederte der Mann, und sie sollten bedeuten, ob der, der über dem Schwibbogen wohnt, der nemliche sei, den ich gemeint habe. Sie sind auch sehr schön, und ich habe diese Haare immer geliebt. - Nun, Herr, sagt mir, ob ihr wohl wieder einmal kommen werdet?«
    »Aber könnt ihr mir denn nicht erklären, wie das alles zusammenhängt?« fragte Hugo.
    »Nein, das kann ich nicht, antwortete der Mann, und wenn ihr nicht freiwillig kommt, so muß ich schon darauf verzichten.«
    »Nein, nein, ich komme schon, sagte Hugo. Wenn es wahr ist, daß ich euch durch mein bloßes Kommen eine Wohlthat

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