Das Amerikanische Hospital
einander an, rauchend, Bier trinkend.
Habe ich Ihnen eigentlich jemals erzählt, dass ich dann doch noch ins Paradies gekommen bin?, fragte der Amerikaner. Dass ich den Garten Eden betreten habe?
Hélène verneinte.
Und wissen Sie, Hélène, sagte er und schüttelte ungläubig den Kopf, es war wirklich das Paradies! Ich werde das nie vergessen. Auch das werde ich nie vergessen.
Es war vier Tage nach dem Waffenstillstand. Zwei Tage nach dem Gemetzel von Rumailah. Aus irgendeinem Grund wurde ich zu der Abordnung bestellt, die in die Marschen fuhr, um mit einigen der dortigen Sheiks zu reden. Wir waren nur zu fünft.
Es war keine zusammenhängende Erinnerung. Es waren Einzelbilder und bewegte Bildfolgen, jedes hatte sich als konzentriertes Licht in die Fotoemulsion seines Gedächtnisses gebrannt.
Die Einbäume, die Mashufs, die die Stabsoffiziere transportieren, von einem tuckernden Außenbordmotor angetrieben, entschwinden schnell und, kleine Rauchwölkchen ausstoßend, um eine von hohem Ried bewachsene Uferböschung herum. Sein Mashuf, schwarz, mit dem hochgezogenen, schnabelartigen Bug, der an eine venezianische Gondel denken lässt, rudert ein alter, schwarzgekleideter Ma’dan per Stechpaddel lautlos über das Wasser, das den Himmel spiegelt. Er muss an die persische Mythe denken, der Himmel sei ein riesiger, blauer Saphir, in den die Erde eingeschossen ist, oder die Erde ruhe auf einem Saphir, dessen Leuchten der Himmel seine Farbe verdankt. Vielleicht ist dann dieser See, dieses Wasser, ein kleiner Opal oder ein Aquamarin. Das bräunliche Riedgras, mannshoch auf Inselchen, am
Ufer, rauscht, das ist das einzige Geräusch. Das klare Wasser ist voller großer, silberner Fische, zum Greifen nah, es ist wie ein Traum oder wie in den wunderbaren Fischzügen der Märchen aus Tausendundeiner Nacht . Nein, das Rauschen des Rieds ist nicht das einzige Geräusch, darin, darein verschlungen, das Zirpen, Keckern, Röhren, Tschilpen, Krähen und Glucksen Abertausender Vögel. Über der sich wiegenden Schraffur des Schilfs ziehen zwei Krauskopfpelikane in charakteristischem Flug, dalmatische Pelikane, sie wassern in aufsprühendem Tröpfchengefunkel. Langsam gleitet der Einbaum, dessen Bootsmann im Heck unsichtbar hinter ihm sitzt und eine leise, heisere Melodie summt, voran durch die unberührte Marschenlandschaft. Am Ufer steht ein Knabe mit einem zugespitzten hölzernen Speer und blickt konzentriert auf den Wasserspiegel, unter dem sich die silbernen Fische tummeln. Am Horizont, zur Wüste hin, verblasst das lichte Blau des Himmels in rosigen und gelben Schichten zu weißer Farblosigkeit.
Wie sagt man?, fragte Cote. A sanctuary. Ein Refugium? Eine Freistatt? Die Ma’dan stammen ja angeblich in direkter Linie von den Sumerern ab und leben seit fünftausend Jahren ungestört in den Marschen, mehr oder weniger wie damals. Aber in diesen fünftausend Jahren waren die Marschen eben immer auch Flucht- und Rückzugsort für alle Menschen der Region, die verfolgt wurden, Araber, Perser, Beduinen, Fremde, und für die Tiere, die Vögel vor allem. Es ist eine der größten Überwinterungsstätten für Zugvögel auf der ganzen Welt. Ob Mensch oder Tier, hierher haben sie sich geflüchtet, hier waren sie in Sicherheit vor dem Wahnsinn der Welt …
Plötzlich, hinter einer Biegung, breitet sich vor seinen Augen die schwimmende Stadt aus. Dutzende kleine Inselchen im Binsenmeer, und auf jeder eine oder mehrere der tunnelförmigen Riedhütten, manche größer, manche kleiner, aber alle perfekt gerundete Tonnengewölbe. Menschen, Wasserbüffel, auf den Dächern Pelikane. Der erste Eindruck: ein Hafen voller Dschunken, voller Hausboote, wie in Hongkong. Nein, eher ist es ein kleines Venedig aus Schilf. Nein, es ist etwas ganz anderes, nie Gesehenes. Der von zwei Flüssen umspielte Garten Eden als ein Atoll aus Röhricht-Inseln. Kein himmlisches Jerusalem, sondern ein schwimmendes, keine fliegende Insel Laputa, sondern eine im Delta der Kanäle und Flussläufe am Ursprung der Welt geborgene Insel Lasanta. Friedvoll, eine kleine Enklave, aus der Zeit gerettet, vor dem Sündenfall bewahrt.
Vor einer der Hütten steht, regungslos und wie aus poliertem schwarzem Marmor gemeißelt, ein gigantisches, bedrohliches Urwelttier, ein riesiger Wasserbüffel, die wie eine Narrenkappe oder eine versteinerte Zopfperücke geformten hellen Hörner zu beiden Seiten in gewaltigen Haken vom Schädel abstehend. Von Zeit zu Zeit durchläuft ein Zittern
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