Das Amulett der Zauberin: Roman (German Edition)
andere Männer.
Körperlich war er etwas größer als der Durchschnitt, eher knochig als muskulös, was eine sehnige Stärke verbarg, die, verbunden mit einer unheimlichen Schnelligkeit und einer Veranlagung zur Skrupellosigkeit dafür sorgte, dass er auch gegen Männer antreten konnte, die doppelt so schwer waren wie er. Das war ein Vorteil, den er nur selten brauchte. Die meisten Leute fingen rasch seine Haltet-euch-verdammt-noch-mal-von-mir-fern-Ausstrahlung auf und waren klug genug, es auch zu tun. Männer waren froh, wenn er vorbeigegangen war. Frauen blickten ihm träumerisch nach, weil sie sich fragten, was an ihm ihren Pulsschlag beschleunigt hatte und was wohl nötig war, um freizusetzen, was er in sich einsperrte; hinter dieser harten Miene, den Augen, die so grau und leer waren wie der Winterhimmel, und den wohlgeformten Lippen, die anscheinend vergessen hatten, wie man lächelte.
Man hatte ihm gesagt, er sei gutaussehend, zu gutaussehend, und obwohl es Jahre her war, dass er in einen Spiegel geblickt hatte, ging er davon aus, dass es immer noch stimmte. Und es hätte ihm nicht gleichgültiger sein können. Für Hazard war sein Gesicht nur eine weitere Waffe in seinem Arsenal, die er einsetzte, wann und wie sie seinen Zwecken diente.
Die Tür seines Mercedes S600 schloss sich mit dem satten Geräusch, das zu einem gepanzerten Wagen passte, der vor Handgranaten und Schusswaffen und den unnatürlichen Dingen der Nacht schützte. Um sie machte er sich die meisten Sorgen. Nicht, weil er nicht sterben wollte, sondern, weil er sein Leben nach seinen eigenen Regeln führen wollte.
Irgendwo in der Dunkelheit bellte ein Hund. Instinktiv hob Hazard den Blick zum sternenlosen Himmel, sog die kalte Nachtluft ein und nahm seine Umgebung sorgfältig in sich auf. Er mochte keine Überraschungen. Der Hund war mindestens einen Block entfernt und wahrscheinlich angekettet, da das Bellen immer gleich klang. Der Geruch von brennendem Holz war näher. Er schloss die Augen und dachte nach. Hickoryholz. Viel näher.
Er sah sich um und entdeckte die Rauchfahne, die aus dem Schornstein des Hauses hinter ihm stieg. Die Lichter waren an und die Vorhänge geöffnet. Von seinem Standort aus konnte er Kinder spielen sehen, während eine mollige Frau den Tisch abräumte. Ein ähnlich molliger Mann erschien mit gelockerter Krawatte und einer Zeitung unter dem Arm am Fenster und spähte mit gerunzelter Stirn in die Dunkelheit.
Hazard blieb bewegungslos stehen und vertraute darauf, dass sein dunkles Haar und seine schwarze Kleidung ihn mit den Schatten verschmelzen ließen. Er hatte das Recht, hier zu sein, aber Komplikationen mochte er noch weniger als Überraschungen. Dass die Polizei gerufen wurde, um einen verdächtigen Fremden zu überprüfen, der in der Gegend herumlungerte, wäre eine von diesen ermüdenden Komplikationen, die er gerne vermied. Dann müsste er mit anderen sprechen und sich erklären – zwei Dinge, die er generell verabscheute. Er wartete geduldig, während der Mann seinen Blick in beiden Richtungen über die Straße gleiten ließ und sich dann, offenbar zufrieden, dass in seinem kleinen Teil der Welt alles in Ordnung war, in seinen gemütlichen Sessel vor dem Kamin zurückzog, wobei er dem runden Po seiner Frau im Vorbeigehen einen liebevollen Klaps verpasste.
Diese einfache Geste löste in Hazard ein starkes und unerwartetes Sehnen aus. Schnell wandte er sich ab und fluchte leise vor sich hin. Gott, ihm war nicht nach häuslichem Glück zumute. Und sollte er jemals den Wunsch nach einer eigenen molligen Frau und einem gemütlichen Sessel gehabt haben, war er schon lange darüber hinweg. Irritiert von seinem Anfall von Gefühlsduselei konzentrierte er sich wieder auf den eigentlichen Grund, warum er sich hier draußen den Hintern abfror und warum er überhaupt nach Providence gekommen war.
Die ruhige Straße in der feinen East Side der Stadt war von stattlichen Ulmen und sorgfältig restaurierten Häusern gesäumt. Für amerikanische Verhältnisse waren sie alt. Doch Alter war relativ. Und die Vergangenheit verlor ihren Reiz, wenn man genug davon hatte. Er musste es wissen.
Nicht, dass ihn seine eigene Vergangenheit übermäßig belastete. Meistens existierte sie nur als Schatten und Schemen, vage Erinnerungen, die tief in ihm vergraben waren – so tief, wie es möglich war. Er konnte nicht zulassen – und würde nicht zulassen –, dass seine einstigen Gedanken oder Gefühle das beeinträchtigten,
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