Das Auge Aldurs 3 - Der Riva Kodes
stattfinden und die Erfüllung der Schöpfung sein würde. Und dann wandten wir uns den Seiten zu, die von der Zweiten Bestimmung berichteten, bevor sie sich der Existenz der Ersten bewußt geworden war. Und sehet! Auch die Zweite Bestimmung bewegte sich unaufhaltsam auf ein EREIGNIS zu. Zu einem bestimmten Zeitpunkt werden die beiden Bestimmungen in all ihren Erscheinungsformen aufeinandertreffen, und das Schicksal der Schöpfung wird sich entscheiden. Und je mehr wir lernten, desto mehr Erscheinungsformen der beiden Bestimmungen entdeckten wir; und wir fanden heraus, daß stets Ausgewogenheit herrschte. Für jede von ihnen gab es ein Gegenstück. Für den einen Stein gab es einen anderen; für den Gott gab es einen anderen Gott; für den Held einen Helden; für die Frau eine Frau; für das Schwert ein Schwert. In jeglicher Hinsicht waren die beiden Bestimmungen so ausgewogen, daß das Gewicht einer einzigen Feder den Verlauf des entscheidenden EREIGNISSES beeinflussen konnte.
Und hinter allem fanden wir heraus, daß die Erste Bestimmung der Schöpfung unveränderlich und unwandelbar war, beständig und unbeweglich. Und die Zweite Bestimmung neigte zu Wechsel und Veränderung, Umbildung und Weiterentwicklung. Und Beweise für diese Unterschiede entdeckten wir in allen Taten der beiden Bestimmungen, und wir stritten untereinander, wie dies in Verbindung mit dem Wesen des GUTEN und dem Wesen des BÖSEN zu bringen sei, und am Ende waren wir noch immer nicht imstande, mit Gewißheit zu sagen, Veränderung sei gut oder böse oder vollkommene Unwandelbarkeit sei die Bestimmung, die wir wählen müßten.
Und als wir alles in Betracht zogen, was wir gelernt hatten, handelte der uralte Belgarath, selbst eine der Erscheinungsformen der Ersten Bestimmung, um den Orb seines Meisters aus der Stadt der Endlosen Nacht zurückzuholen. Und als der Morgen dieses Tages dämmerte, kam eine uns unbekannte Seherin aus dem Gebirge an der Grenze zu Darshiva, und der stumme Mann, der sie führte, stammte aus einer fremden Rasse. Und die Seherin erhob ihre Stimme und erlegte uns die dritte Aufgabe auf.
»Wisset«, sprach sie, »das Dritte Zeitalter der Menschheit ist angebrochen, und es ist das Zeitalter der Prophezeiung. Und es wird eure Aufgabe sein, alle Prophezeiungen zu sammeln, die von der einen und von der anderen Bestimmung ausgesprochen werden. Suchet demnach in den Ländern aller Menschen nach Propheten, welche die Worte der Bestimmungen verkünden, und traget alles Gesagte zusammen und bringet die Worte der Prophezeiung zu den Sprechern, die ihnen ihre Bedeutung entreißen werden.« Und mit diesen Worten wandte die namenlose Seherin sich um und ging davon, und wir sahen sie nie wieder. Und die Aufgabe, welche die Seherin uns auferlegt hatte, war langwierig und schwer, denn Prophezeiungen befinden sich stets an der Schwelle zum Wahnsinn, und wir sahen uns gezwungen, jeden Wahnsinnigen in allen Königreichen der Welt aufzusuchen und all das irre Gerede schäumender Verrückter aufzuzeichnen. Und manche von den Worten der Wahnsinnigen dieser Welt schienen die Worte der Bestimmung zu sein, und manches von den Worten echter Propheten schien wirres Gerede Verrückter zu sein, und wir wußten nicht, welches die Stimme der Prophezeiung und welches die Stimme des Wahnsinns war. Aber damit wir keine wahre Prophezeiung übersahen, brachten wir all diese Äußerungen zu den Sehern in Kell, wo sie Prophezeiung von Wahnsinn schieden.
Und manchmal verzagten wir, denn die Zeit selbst schien aus den Fugen zu sein. Und überdies fanden wir heraus, daß Kobolde und Dämonen oftmals durch unschuldige Münder zu reden pflegten, um uns in die Irre zu führen. Wir jedoch blieben standhaft, und als das Zeitalter der Prophezeiung endete, kamen wir zu dem Ergebnis, daß in dem riesigen Kornspeicher von Aufzeichnungen, die wir zusammengetragen hatten, nur ganz wenige Körner die wahren Stimmen der Bestimmungen waren, und alle anderen waren wertlos, und diese Erkenntnis kam uns bitter an.
Und mitten in unserer Trauer kam die Seherin Onatel zu uns mit Worten des Trostes und sprach: »Verzweifelt nicht, noch lasset zu, daß eure Schultern vom Gram gebeugt werden, denn die größte Aufgabe liegt noch vor euch, und alles Bisherige ist nur Vorbereitung und Prüfung. Und dies ist die Aufgabe, die wir erfüllen müssen. Alles Nötige habt ihr erhalten. In diesem Zeitalter müssen wir die Wahl treffen.«
Und wir vernahmen ihre Worte mit Erstaunen, wußten wir
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