Das Auge des Leoparden
Absichten erkenne.
Heute ist mein Leben eine Wanderung durch Tage, die mir unwirklich erscheinen. Ich führe ein Leben, das weder mein eigenes noch das eines anderen ist. Es gelingt mir nicht, aber es mißlingt mir auch nicht, das umzusetzen, was ich mir vornehme.
Unablässig frage ich mich, was eigentlich geschehen ist. Was hat mich hergeführt, weshalb bin ich zu der langen Reise aus dem abgelegenen, ständig eingeschneiten Binnenland Nordschwedens nach Afrika aufgebrochen, das doch nie nach mir gerufen hat? Was habe ich in meinem Leben nicht verstanden?
Am rätselhaftesten ist allerdings, daß ich achtzehn Jahre geblieben bin. Als ich Schweden verließ, war ich fünfundzwanzig, heute bin ich dreiundvierzig. Die ersten grauen Haare habe ich schon vor langer Zeit bekommen, mein Bart, den abzurasieren ich nicht die Zeit finde, ist bereits schneeweiß. Drei Zähne habe ich verloren, zwei im Unterkiefer und einen links im Oberkiefer. Der Ringfinger meiner rechten Hand ist bis zum unteren Glied verstümmelt, und von Zeit zu Zeit leide ich an Nierenschmerzen. Aus den Füßen entferne ich regelmäßig weiße Maden, die sich unter die Haut bohren. In den ersten Jahren kostete es mich große Überwindung, diese Operation mit einer sterilen Pinzette und einer Nagelschere durchzuführen. Inzwischen nehme ich einfach einen rostigen Nagel oder ein Messer, das zufällig zur Hand ist, und schneide die Parasiten aus den Fersen heraus.
Manchmal versuche ich, die vielen Jahre in Afrika wie einen Knick in meinem Leben zu sehen, der sich eines Tages als etwas erweisen wird, was im Grunde nie existiert hat. Ein wirrer Traum vielleicht, der wie eine Seifenblase zerplatzen wird, sobald ich mich endlich dazu durchringe, dieses Leben hinter mir zu lassen. Irgendwann muß dieser Knick in meinem Leben glattgestrichen werden.
Im Fieber wird Hans Olofson gegen unsichtbare Riffe geworfen, die ihm Schürfwunden beibringen. Hin und wieder läßt der Sturm nach, und er schaukelt auf den Wellen und merkt, daß er sich rasch in einen Eisblock verwandelt. Aber als er bereits zu spüren meint, daß die Kälte zu seinem Herzen vorgedrungen ist und seinen letzten Herzschlag zu Stille gefrieren läßt, wird der Sturm wieder stärker, und das Fieber schleudert ihn erneut gegen die messerscharfen Riffe.
In den unruhigen, zerrissenen Träumen, die wie Dämonen in seinem Innern wüten, kehrt er immer wieder zu jenem Tag zurück, an dem er nach Afrika kam. Zu der weißen Sonne und der langen Reise, die ihn nach Kalulushi führte und schließlich in diese Nacht, achtzehn Jahre später.
Wie eine böse Gestalt ohne Hals und Kopf steht das Fieber vor ihm, und er hält krampfhaft den Revolver fest, als läge in ihm seine endgültige Erlösung.
Die Malariaanfälle kommen und gehen.
Hans Olofson, aufgewachsen in einem düsteren Holzhaus am Ufer des Ljusnan, zittert unter dem naßgeschwitzten Laken.
Aus seinen Träumen löst sich die Vergangenheit, ein Widerschein der Geschichte, die er eines Tages vielleicht doch noch verstehen wird …
D URCH SCHNEEGESTÖBER kehrt er in seine Kindheit zurück.
Im Winter 1956 um vier Uhr morgens ächzt und stöhnt das Gebälk des alten Holzhauses in der Kälte. Doch es ist nicht dieses Geräusch, das ihn aus dem Schlaf reißt, sondern ein anhaltendes Scharren und Murmeln aus der Küche. Er wacht so plötzlich auf, wie es nur Kinder können, und weiß sofort, daß sein Vater wieder den Fußboden schrubbt. In einem blaugestreiften Pyjama mit eingefressenen Kautabakflecken, an den Füßen Wollsokken, die bereits durchnäßt sind vom Putzwasser, das er wütend auf dem Fußboden verschüttet, hetzt der Vater seine Dämonen durch die Winternacht. Die beiden Elchhunde hat er am Holzschuppen angekettet, hat halbnackt in der eisigen Kälte an den festgefrorenen Ketten gezerrt, während das Putzwasser auf dem Herd langsam heiß wurde.
Und nun greift er in einer wütenden Scheuerattacke den Schmutz an, den nur er erkennt. Mit siedendheißem Wasser zielt er auf Spinnweben, die plötzlich an den Wänden aufflammen, schleudert einen ganzen Eimer voll den Abzug des Herds hinauf, felsenfest davon überzeugt, daß sich dort ein Knäuel gefleckter Schlangen verbirgt.
Im Bett liegend sieht Hans, ein Zwölfjähriger, der sich die Wolldecke bis zum Kinn hochgezogen hat, dies alles vor sich. Er braucht nicht aufzustehen und über die kalten Bodendielen zu schleichen, um sich zu vergewissern, was dort vorgeht. Er weiß es auch so. Durch die
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