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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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mehr. Er wird entlassen, von der Farm gejagt.
    Mir können sie nichts anhaben, denkt er. Ich bin stärker als sie alle zusammen.
    Die Insekten bohren sich weiterhin in seine Stirn. Er ist sehr müde, fragt sich, ob die Morgendämmerung noch fern ist, und denkt, daß er schlafen muß. Die Malariaanfälle kommen und gehen, und mit ihnen die Alpträume. Er muß unbedingt unterscheiden, was Einbildung und was Wirklichkeit ist.
    Es kann hier nicht schneien, denkt er. Und ich sitze auch nicht auf dem Rücksitz eines alten Saab, der durch helle nordschwedische Sommerwälder braust. Ich bin hier in Afrika, nicht in Härjedalen, und zwar seit achtzehn Jahren. Ich muß Ordnung in meine Gedanken bringen. Das Fieber verleitet mich, in Erinnerungen zu stöbern, sie ans Licht zu holen und mir einzubilden, sie wären Wirklichkeit.
    Erinnerungen sind tote Dinge, Alben und Archive, die man hinter schweren Schlössern lagern sollte. Die Wirklichkeit stellt Anforderungen an mein Bewußtsein. Im Fieber zu liegen heißt, innerlich die Orientierung zu verlieren. Das darf ich nicht vergessen. Ich bin in Afrika, seit achtzehn Jahren. Es war nicht so geplant, aber es hat sich so ergeben.
    Wie oft ich Malaria hatte, kann ich gar nicht mehr sagen. Manchmal sind die Anfälle schwerer, wie jetzt, dann wieder leichter, ein Fieberschatten, der über mein Gesicht huscht. Das Fieber führt mich in die Irre, will mich fortlocken, beschwört Schnee herauf, obwohl wir mehr als dreißig Grad haben. Ich bin in Afrika, und ich war die ganze Zeit hier, seit ich in Lusaka aus dem Flugzeug gestiegen bin. Eigentlich wollte ich nur ein paar Wochen bleiben, aber es ist etwas länger geworden, das ist die Wahrheit, und nicht etwa, daß es schneit.
    Sein Atem geht schwer, er fühlt, wie das Fieber in ihm tanzt, zum Ausgangspunkt zurücktanzt, zu jenem frühen Morgen vor achtzehn Jahren, als er zum erstenmal die afrikanische Sonne auf seinem Gesicht spürte.
    Aus dem Nebel des Fieberanfalls löst sich unvermittelt ein Augenblick von großer Klarheit, eine Landschaft, deren Konturen gestochen scharf und rein sind. Er verscheucht eine große Kakerlake, die mit ihren Antennen ein Nasenloch abtastet, und sieht sich in der Passagiertür des großen Jets stehen, auf der obersten Stufe der herangerollten Fluggasttreppe.
    Er erinnert sich, daß sein erster Eindruck von Afrika das Sonnenlicht war, das den Beton des Flugfelds schneeweiß schimmern ließ. Dann nahm er einen ganz bestimmten Geruch von etwas Bitterem wahr, von einem unbekannten Gewürz oder einem Holzkohlefeuer.
    So war es, denkt er. Diesen Moment werde ich bis ins kleinste wiedergeben können, solange ich lebe. Achtzehn Jahre ist das jetzt her. Vieles von dem, was später geschehen ist, habe ich vergessen. Afrika wurde zur Gewohnheit. Und ich mußte einsehen, daß ich mich angesichts dieses verletzten und verstümmelten Kontinents niemals würde heimisch fühlen können … Ich, Hans Olofson, habe mich daran gewöhnt, daß es mir unmöglich ist, mehr als Bruchteile dieses Kontinents zu erfassen und zu verstehen. Aber trotz dieser ständigen Unterlegenheit bin ich geblieben, habe eine der zahlreichen Sprachen gelernt, die man hier spricht, und beschäftige mehr als zweihundert Afrikaner.
    Ich habe gelernt, in dem seltsamen Leben auszuharren, das man führt, wenn man gleichzeitig geliebt und gehaßt wird. Tag für Tag stehe ich zweihundert schwarzen Menschen von Angesicht zu Angesicht gegenüber, und ich weiß, daß sie mich am liebsten ermorden, mir die Kehle durchschneiden, meine Geschlechtsteile opfern und mein Herz essen würden.
    Jeden Morgen bin ich auch nach achtzehn Jahren beim Aufwachen überrascht, daß ich noch lebe. Jeden Abend überprüfe ich meinen Revolver, lasse die Trommel zwischen den Fingern rotieren und vergewissere mich, daß niemand die Patronen durch leere Hülsen ersetzt hat.
    Ich habe gelernt, tiefste Einsamkeit zu ertragen. Nie zuvor war ich von so vielen Menschen umgeben, die meine ganze Aufmerksamkeit einfordern und Entscheidungen von mir verlangen, zugleich aber in der Dunkelheit über mich wachen; unsichtbare Augen, die mich abwartend, lauernd verfolgen.
    Am klarsten erinnere ich mich dennoch an den Augenblick vor achtzehn Jahren, als ich auf dem Lusaka International Airport aus dem Flugzeug stieg. Zu diesem Augenblick kehren meine Gedanken immer wieder zurück und geben mir den Mut und die nötige Kraft, auszuharren und einen Punkt zu finden, an dem ich noch meine eigenen

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