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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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und Preiselbeeren riechen, nicht schwach nach salziger Monsunsee und heruntergebrannten Holzkohlefeuern. Aber das Vollschiff steht auf dem Regal über dem Herd und trägt den verträumten Namen Céléstine. Schon vor langer Zeit hat Hans Olofson beschlossen, nie eine Frau zu heiraten, die Céléstine heißt. Das wäre Verrat: am Vater, am Schiff, an sich selbst.
    Außerdem ahnt er, daß es einen schwer in Worte zu fassenden Zusammenhang zwischen dem Vollschiff in seiner verstaubten Vitrine und den regelmäßig wiederkehrenden Nächten gibt, in denen sein Vater mit rasender Wut schrubbt. Ein Seemann sieht sich in einem nordschwedischen Urwald gestrandet, wo man keine Peilung vornehmen, keine Meerestiefe ausloten kann. Hans Olofson ahnt, daß der Seemann mit einem unterdrückten Klageschrei in seinem Innern lebt. Wenn seine Sehnsucht dann übermächtig wird, kommen die Flaschen auf den Tisch, werden die Seekarten aus der Truhe im Flur geholt, die Weltmeere erneut befahren, und der Seemann verwandelt sich in ein Wrack, das seine zu alkoholgeschwängerten Trugbildern entartete Sehnsucht fortschrubben muß.
    Die Antworten bleiben dennoch immer unerreichbar.
    Wie im Falle seiner Mutter, die verschwand, eines Tages einfach fort war. Hans Olofson war damals noch so klein, daß er sich an nichts erinnern kann, weder an sie noch an ihr Fortgehen. Die Fotografien, die hinter dem Radio im unvollendeten Logbuch seines Vaters liegen, und ihr Name, Mary, sind das einzige, was ihm von ihr geblieben ist.
    Die beiden Fotografien beschwören ein Gefühl von Morgengrauen und Kühle herauf. Ein rundes Gesicht mit braunen Haaren, der Kopf ein wenig geneigt, möglicherweise die Andeutung eines Lächelns. Auf der Rückseite der Bilder steht
Ateljé Strandmark, Sundsvall
.
    Manchmal stellt er sich seine Mutter als Galionsfigur auf einem Schiff vor, das in einem schweren Sturm in der Südsee untergegangen ist und nun auf dem Grund eines viertausend Meter tiefen Grabes ruht. Er stellt sich ihr unsichtbares Mausoleum irgendwo auf der Seekarte an der Küchenwand vor. Vielleicht bei Port Louis oder in der Nähe der Riffe an der Ostküste Madagaskars.
    Sie wollte nicht. So lautet die Erklärung, die er von seinem Vater bekommt. Wenn sein Vater ihr Fortgehen überhaupt erwähnt, benutzt er immer diese Worte.
    Jemand, der nicht will.
    Schnell und unerwartet ist sie verschwunden, so viel begreift er. Eines Tages war sie fort, mit einem Koffer. Jemand hat sie in den Zug Richtung Orsa und Mora steigen sehen. Die Finnmark hat sich hinter ihrem Verschwinden geschlossen.
    Diesem Verschwinden kann er nur stumme Verzweiflung entgegensetzen und die Vermutung, daß sie beide, sein Vater und er, schuld sind. Sie waren nicht gut genug und wurden zurückgelassen, ohne jemals ein Lebenszeichen von ihr zu bekommen. Im Grunde weiß er nicht einmal, ob er sie vermißt. Seine Mutter, das sind zwei Fotografien, keine Frau aus Fleisch und Blut, die lacht, Kleider wäscht und sich die Decke bis zum Kinn hochzieht, sobald die Winterkälte durch die Wände kriecht. Er hat vor allem Angst und schämt sich, ihrer nicht würdig gewesen zu sein.
    Schon früh beschließt er, sich die Verachtung zu eigen zu machen, die das wohlanständige Städtchen der entlaufenen Mutter wie Fesseln angelegt hat. Er ist ganz einer Meinung mit den Anständigen, den Erwachsenen. Im eisernen Griff des Schicklichen leben sie gemeinsam in dem Haus, dessen Gebälk während der endlosen Winter seine Not herausschreit. Manchmal stellt Hans Olofson sich vor, ihr Haus wäre ein vor Anker liegendes Schiff, das auf Wind wartet. Die Ketten der Elchhunde am Holzschuppen sind in Wirklichkeit Ankerketten, der Fluß ist eine Bucht am offenen Meer. Die Dachmansarde ist die Kapitänskajüte, die untere Etage gehört der Mannschaft. Der Wind läßt auf sich warten, doch eines Tages werden sie die Anker lichten, und das Haus wird unter vollen Segeln flußabwärts segeln und ein letztes Mal Salut schießen, wo der Fluß am Volkspark eine Biegung macht, ehe der Wind sie davonträgt. Zu einem
Fort von hier
, aus dem eine Rückkehr nicht vorgesehen ist.
    In dem hilflosen Versuch zu verstehen, legt er sich die einzig denkbare Erklärung dafür zurecht, warum sein Vater in dem vertrockneten Städtchen bleibt, täglich sein Werkzeug nimmt und in den Wald geht, der ihn doch daran hindert, das Meer zu sehen, Kurs zu setzen und Ausschau nach fernen Horizonten zu halten.
    Gerade deshalb fällt er den Wald. Stapft durch

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