Das Auge des Ra
herum versammelt standen. Noch hatte er Schwierigkeiten damit, seine Umgebung deutlich zu erkennen. Die Eindrücke verschwammen immer wieder und tauchten dabei in ein tiefes Schwarz ab.
Eine Stimme klang näher als die anderen. Sie kam von rechts und schien der Person zu gehören, deren Hand er vorhin gespürt hatte. Talon zwang sich dazu, sich zu konzentrieren und wandte den Kopf nach rechts. Er blickte in das Gesicht eines Mannes undeutbaren Alters, das ihn ausdruckslos ansah. Dieser hob nun seinerseits den Kopf und sprach mit jemand, der außerhalb von Talons Blickfeld stand.
Es fiel ihm schwer, etwas von dem zu verstehen, was die beiden miteinander besprachen. Manchmal glaubte er, etwas an Kiswahili zu verstehen, dann etwas an Arabisch, doch dies alles war von einem rauen Dialekt überlagert, in dem ihm bestenfalls der eine oder andere Satzfetzen bekannt vorkam.
Nach und nach klärte sich nun sein Blick. Talon wollte sich aufstützen, fiel aber sofort mit einem schmerzverzerrten Gesicht zurück. Sein Schädel fühlte sich an, als wolle er auseinander brechen. Etwas Feuchtes legte sich an seine Lippen. Es war das Mundstück eines Schlauchs aus Ziegenleder, dessen lauwarmes Wasser Talon trotz des abgestandenen Geschmacks begierig in sich aufnahm.
Mehrmals konnte er den Begriff „Sekhmet“ verstehen, der von den Umstehenden mit einem von Ehrfurcht erfüllten Tonfall verwendet wurde. Er bekam mit, wie sich jemand hinter ihm auf dem Boden niederließ und seinen Kopf anhob und ihn mit den Händen stützte.
Jetzt erst konnte Talon die Menschen um sich herum richtig erkennen. Und obwohl sich sein Blick inzwischen geklärt hatte, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Es waren allesamt Männer mit einer Hautfarbe, die deutlich heller war als die der Menschen, die hier in den umliegenden Siedlungen lebten. Sie glich damit seiner eigenen viel eher, bronzefarben getönt unter dem kräftigen Licht der afrikanischen Sonne.
Doch es war nicht die Hautfarbe, die ihn glauben ließ, noch immer in einem Traum zu stecken. Die Männer trugen allesamt als einziges Kleidungsstück einen kurzen Lendenrock aus hellem Tuch, der um die Hüften geschlungen war und vorne von einem breiten Band zusammen gehalten wurde. Sie alle trugen eine metallene Haube aus kunstvoll beschlagenem Kupfer, die ihren offenbar kahl geschorenen Kopf schützte. Jeder von ihnen führte einen langen Speer bei sich, dessen Bronzeklinge die sichelartige Form eines Halbmondes hatte.
Ein Schatten schob sich von der rechten Seite in Talons Blickfeld. Neben ihm ließ sich ein Mann nieder, dessen Lendentuch von einem breiten Gürtel gehalten wurde, an dem ein altertümlich scheinendes Kurzschwert hing. Brust und Schultern wurden von einem kunstvoll geflochtenen Kragen aus roten und blauen Perlen bedeckt. Seine dunklen, tief liegenden Augen bedachten Talon mit einem prüfenden Blick.
Er redete langsam auf den am Boden liegenden Mann ein und machte nach mehreren Worten immer wieder eine kleine Pause. Talon war bewusst, dass der Mann sehen wollte, ob er ihn verstand, und so erklärte er ihm in einfachem Arabisch, dass er seinen Worten nicht sehr weit folgen konnte. Obwohl es für ihn klang wie ein semitischer Dialekt, war er anders als alles, was er zuvor gehört hatte.
Dennoch schien sein Gegenüber diese Erklärung sogar nachvollziehen zu können. Der Mann, dessen ausgeprägtes Spiel der Muskeln sich bei jeder Bewegung seines durchtrainierten Körpers deutlich zeigte, formulierte Sätze, die Talon zumindest zum Teil zu verstehen glaubte. Je mehr sie miteinander sprachen, desto mehr schien er die Worte intuitiv erfassen zu können und ihnen mit den Sprachen, die er kannte, die richtige Bedeutung zuordnen zu können.
Wieder hörte er den Begriff „Sekhmet“, begleitet von ehrerbietenden Floskeln. Dabei wies der Mann auf die Wunden an Talons Körper. Das „Auge des Ra“ habe sich auf ihn gelegt.
„Das Auge des Ra?“, wiederholte Talon und wurde hellhörig. Auch wenn er sich nie viel mit ägyptischen Gottheiten beschäftigt hatte, wusste er zumindest so viel, dass Ra ein hoher Gott war, der auch mit der Sonne gleichgesetzt wurde.
„Sekhmet“, bestätigte der Mann vor ihm. „Sie hat dich verschont.“
„Wer ist Sekhmet?“, hakte er nach.
„Das Auge des Ra“, erhielt er zur Antwort. Unwillig schüttelte er den Kopf. So kamen sie nicht weiter. So gut er konnte, erzählte Talon, was geschehen war. Er sah in dieser unwirklichen Situation keinen Sinn
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