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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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stammte. Er faßte sie an den Schultern, schüttelte und küßte sie, erregte sich dabei und schob sie vor sich hin ins Schlafzimmer, wo im Dämmerlicht des Abends die beiden Betten den quadratischen Raum beherrschten. Sommerwarm stand die Luft zwischen den hell getünchten Wänden. Viel zu heiß lag es sich unter den dicken Federbetten, wenn man noch irgendetwas anhatte. »Über dem Eßtisch brennt noch das Elektrische«, mahnte Frau Stine, während sie ihre Röcke fallen ließ und das Hemd über den Kopf streifte. »Laß brennen«, rief Albert heiser, stürzte aber doch noch zurück und drehte den Knipser. Mozarts Musik hatte längst geendet.
II
    »Bei Nathansons, so lange es sie gab, pflegte es in diesen Stunden hoch herzugehen, Garden Party und Hauskonzert zur Feier des Tages.«
    Die junge Dame, die dies am folgenden Nachmittag sagte, lag, die Arme hinterm mattblonden Haar gekreuzt, in einem Liegestuhl. Die Terrasse, auf der er stand, erlaubte einen Durchblick zwischen den Villen und Wipfeln der vorderen Straßen auf das Becken der Außenalster, das sich hier kilometerweit öffnete.
    Hans Peter Footh, die schweren Hände zwischen den Knien, richtete seine kleinen, intensiven Augen überrascht auf den blaßroten Mund seiner schönen, goldbraunen Freundin. In langen weißseidenen Beinkleidern, den Oberkörper nur mit einem Brusttuch geschmückt, hellrot-weiß-blau wie die holländische Flagge, lag sie da und gab ihm Rätsel auf. Aber gerade das liebte er an ihr. Auf seine bekannt nette Art war er seiner Sache und der Partei in allem Wichtigen sicher genug, um sich kleine Blößen geben zu dürfen. Annette Koldewey, Tochter eines hohen Verwaltungsbeamten, des Zuchthausdirektors von Fuhlsbüttel, galt als sehr gebildetes Mädchen. Sie hatte schon in der republikanischen HamburgerGesellschaft verkehrt; weniger zu wissen als sie, schändete niemanden. »Feier des Tages?« fragte er, »was war denn 1870 am 28. August?« – Annette lächelte leise, ihre slawisch braunen Augen, eingebettet zwischen hochgerückten Backenknochen und einer eigensinnigen Stirn, musterten freundlich den Mann in den weiten blaugrauen Schifferhosen, der über hundertfünfzig Angestellte gebot und dem sie sich zu eigen gegeben hatte, auf Kündigung und bis auf weiteres. Vorsichtig vermied sie den Ausdruck Liebe, um das zu kennzeichnen, was sie mit Footh verband. Er hatte sich schon vor Jahren scheiden lassen und war bereit, sie jeden Tag zu heiraten. »Goethes Geburtstag«, gab sie Bescheid. »Nathansons feierten ihn. In den Tagen der Republik nahmen ja viele davon Kenntnis. Jetzt sitzen Nathansons drüben in Stockholm und warten auf den Tag ihrer Rückkehr.« – »Wird ihnen die Zeit nicht lang werden?« spottete Hans Footh. – »Wir sprachen sie im Frühjahr«, entgegnete Annette. »Konsul Nathanson ist klug. Ich gebe eurem Führer noch ein paar Jahre, sagte er. Dann macht er eine ganz große Dummheit und setzt die Welt in Brand, und danach kommen wir wieder. Seine komischen Vorstellungen von England und Amerika werden ihm den Hals brechen.« – »Kluger Mann!« empörte sich Hans Footh. »Sonderbaren Umgang erlaubte dir dein Vater.« Annette blickte vor sich hin: als ob ihr eigener Wille nicht ausgereicht hätte, sie zu leiten! Dann verzog sie ihre Brauen zu bedrängtem Ausdruck, wollte etwas entgegnen, zog es aber vor, die Glastasse mit Tee an die Lippen zu setzen, den Duft der Mischung einzuatmen, die sie selbst aus Darjeeling und Pekko hergestellt hatte, und sich in langen Zügen zu erfrischen.
    Footh und sie hatten die ersten Stunden des Nachmittags auf seinem Segelboot verbracht und waren noch nicht lange wieder zu Haus. Da Sonnabend Mittag das Weekend begann, belebte sich das Wasser von Stunde zu Stunde. – Grund für manche Leute, den Tee lieber daheim zu nehmen. Zuviel Gesang, Gerufe und Grammophon. »Armer Papa!« seufzte sie bedrückt.
    Im Schlafzimmer, vor welchem die Terrasse sich erstreckte, und das sie gleichsam ins Freie fortsetzte, schnarrte das Telefon. Herr Footh erhob sich schwer aus seinem Sessel, Stahlrohr, bespanntmit bunten Gurten, sogenannter Bauhausstil, und ging hinein. Annette musterte den wiegenden Gang, den Herr Footh von den Kapitänen seiner Tankschiffe gelernt hatte. Eigentlich müßten von seinem Rücken Hosenträger herunterbaumeln, hin und her, wie bei Jannings im Film, dachte sie angeärgert. Und hoffentlich bringst du auch einmal so viel Verständnis für den Stil deiner Tochter auf wie mein Papa. Der

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