Das Biest aus den Alpen
etwas sagen
konnte, schaltete sich Karl, das Computerhirn der Truppe, dazwischen: »Der
Begriff Kryptozoologie setzt sich aus mehreren griechischen Wörtern zusammen:
zum einen kryptos, was so viel wie ›verborgen‹ bedeutet und zum anderen zoon für ›Tier‹. Und wie wir alle aus dem Unterricht wissen, verweist die Endung logia auf eine Studie oder Forschung. Kryptozoologie ist also die Forschung von der
verborgenen Tierwelt. Und deren Erforscher, die Kryptozoologen, suchen nach
bislang unbekannten oder als ausgestorben geltenden Tierarten — oder solchen,
deren Existenz zwar angenommen wird, bisher aber nicht bestätigt werden
konnte.«
Jan Forschmann nickte
zustimmend, was Karl dazu ermunterte, weiterzusprechen: »Erst neulich kam ein
interessanter Bericht im Fernsehen...«
Klößchen bekam seine weit
geöffnete Futterluke vor Staunen gar nicht mehr zu.
»Die Kryptozoologie ist ein
wahrer Exot unter den Naturwissenschaften«, fuhr Karl fort und rückte seine
Brille auf der Nase zurecht. »Da sich die Kryptozoologen oftmals alter
Überlieferungen bedienen und zuweilen intuitiv vorgehen müssen, halten viele
dieses Forschungsgebiet für etwas Unseriöses.« Karl nahm seine Brille ab,
setzte sie aber gleich wieder auf. Das Thema war viel zu spannend, als dass zum
Polieren — seiner typischen Geste — Zeit gewesen wäre.
»Aber was soll es denn auf
unserem Planeten noch großartig zu entdecken geben? Uns steht doch jede Menge
hilfreiche Technik zur Verfügung«, fragte Tim. »Wir können die Erde sogar via
Satellit aus dem All beobachten.«
»Du glaubst, es gäbe nichts
mehr zu entdecken? Dass wir mit unseren technischen Möglichkeiten längst alle
Geheimnisse gelüftet hätten? Viele Menschen denken so wie du. Sie halten die
gesamte Tierwelt für erforscht. Doch dem ist nicht so! Allein in den letzten
200 Jahren wurden zigtausend ›neue‹ Tierarten entdeckt! Viele dieser Tiere
galten in früheren Zeiten noch als Fabel- und Sagenwesen«, erklärte Dr.
Forschmann.
»Denkt doch mal an den
Quastenflosser! Wir hatten es neulich in Bio von diesem Fisch aus der Zeit der
Dinosaurier«, erinnerte Karl. »Alle dachten, der wäre bereits seit 65 Millionen
Jahren ausgestorben! Und dann hat man ihn doch entdeckt.«
»Genau wie diese drei Meter
lange Riesenechse... ähm... Kommodenwaran.« Klößchen sprach nur aus der linken
Backe, die rechte war schon wieder mit Schokolade gefüllt.
Gaby musste lachen:
»Komodowaran, Willi.«
Oskar bellte zur Bestätigung.
Jetzt fiel Tim auch ein
Beispiel ein. »Oder das eigentümliche Okapi aus Afrika«, erinnerte er sich an
seinen letzten Zoobesuch. »Dessen Existenz hat man auch erst nachweisen können,
nachdem das erste lebende Exemplar gefangen wurde.«
»Jahr für Jahr werden unbekannte
Tierarten entdeckt, darunter keineswegs nur unscheinbare Insekten — sondern
auch Vögel, Fische, Reptilien, Amphibien oder Säugetiere«, berichtete Jan
Forschmann weiter. »In den letzten Jahren fand eine Art ›Volkszählung der
Meere‹ statt. Dabei entdeckte man einen der skurrilsten Meeresbewohner: die
Yeti-Krabbe. Deren seltsam behaarte Scherenarme sind doppelt so lang wie ihr
Körper.«
»Das klingt ja total spannend!«
Gaby blies vor Aufregung gegen den goldblonden Pony, der ihr Gesichtsfeld
einschränkte. »Und wo haben Sie das alles studiert? Das mit der Kryptozoologie,
meine ich.«
Jan Forschmann zwinkerte ihr
verschwörerisch zu. Flüsternd sagte er: »Kryptozoologie kann man an keiner
Universität studieren. Sie ist eine Erfahrungswissenschaft. Das bedeutet, dass
man zunächst Kenntnisse auf anderen naturwissenschaftlichen Gebieten sammeln
muss, zum Beispiel in der Zoologie, der Biologie oder der Anthropologie. Denn
nur, wer über Lebensformen Bescheid weiß, die wirklich und wahrhaftig
existieren, kann sich auch solchen zuwenden, die es nur vielleicht gibt...« Er
sah Tim an und deutete auf den Papierstapel. »Und? Spannend?«
»Aber Dr. Forschmann, wie käme
ich dazu, in Ihren Unterlagen zu schnüffeln?«, fuhr Tim auf, der sich ertappt
fühlte. »Ähm... nun, ein paar kurze Zeilen habe ich beim Aufheben der Blätter
gelesen.«
Gaby schaute ihren Freund mit
einem durchdringenden Blick von der Seite an. Sie hatte Tims Flunkern bemerkt.
Niemand kannte ihn so gut wie sie.
Tim gab sich einen Ruck. »Ich
habe wirklich nur einen kleinen Blick draufgeworfen!«
»Schon gut.« Forschmann winkte
lächelnd ab. Er nahm ein Päckchen Kaugummi aus seinem Rucksack und bot
Weitere Kostenlose Bücher