Das Blut Des Daemons
legte mich auf mein Bett. Ich drehte mich auf die Seite, kauerte mich zusammen.
»Danke.« Ich war mir nicht sicher, ob ich das Wort verständlich hervorbrachte. Adrien beugte sich über mich, griff nach dem zweiten Kissen – und drückte es mir aufs Gesicht.
O bwohl die Sonne scheint, ist es kalt. Das Meer ist unruhig. Der Wind, der von See in die Calanque hereinweht, klatscht die Wellen hoch gegen die zerklüfteten Karstfelsen. Weiter drinnen wäre es sicherlich ruhiger. Aber genau deshalb habe ich diese Stelle damals ausgesucht. Weil nur diese Wand hier senkrecht aufragt und sich teilweise sogar über das Wasser hinausneigt. Selbst mit der entsprechenden Ausrüstung weder von oben noch von der Seite zu erreichen. Auch nicht für einen geübten Kletterer. Nur der Weg von einem Boot aus nach oben. Ein Mensch, der es hier versucht, ist lebensmüde. Vor allem, nachdem es tiefer in der Calanque sehr viel einfachere und von der Aussicht schönere Aufstiege gibt. Allerdings ist dieses Versteck eher meinem Versprechen gegen Papa geschuldet. Bis vor Kurzem war es mir gleichgültig, ob nicht – wider Erwarten – doch irgendein verrückter Kletterer das Blut findet. Jetzt sitzt die Angst in meinen Gedanken, dass es nicht mehr da sein könnte.
Die Taue zu kontrollieren, die das kleine Sportboot zwischen den aus dem Meer ragenden Felszacken halten werden, ist reine Gewohnheit. Etwas, das Papa uns eingebleut hat, als er Adrien und mir unsere erste Jolle schenkte. Vom Meer aus ist diese Stelle nicht einzusehen. Falls irgendwelche Touristen die Sonne heute nutzen und sich an der Küste entlangschippern lassen, werden sie mein Boot nicht entdecken. Auch wenn das mehr als unwahrscheinlich ist. Wir haben November. Die Saison für Sonnenhungrige in Marseille ist vorbei. Dazu der Seegang. Selbst wenn ich das Boot nicht schon von den Staaten aus gechartert hätte, hätte ich wohl keine Schwierigkeiten gehabt, heute eines zu bekommen. Allerdings hätte mich das unnötig Zeit gekostet. So hat der Bootsverleiher alles erledigt und mir auch die entsprechende Kletterausrüstung besorgt. Ein Service, den er nicht jedem seiner Kunden bietet. Aber man bekommt auch heutzutage in Marseille noch immer alles Nötige, wenn man nur die entsprechenden Preise zahlt. Mit ein Grund, weshalb meine Wahl auf ihn gefallen ist. Er hat mir sogar das Edelstahlseil und alles andere beschafft.
Die Fender werden das Boot davor bewahren, vom Wasser gegen die Felsen gedrückt zu werden. Mit einem Fuß auf dem Rohr der Reling das Gleichgewicht zu halten, ist deutlich einfacher, als auf einem Hochseil stillzustehen und Geige zu spielen. Die Wellen heben das Boot in die Höhe. Die Taue knirschen. Ein Griff in das helle, beinah weiße Gestein und abstoßen. Das Boot sackt unter mir weg. Gischt spritzt. Nässe durchdringt meine Jeans. Ich habe Halt. Keine Kunst in dem ausgewaschenen Karst. Ein weiterer meiner ›Flirts mit dem Tod‹, wie Adrien das immer nannte: Freeclimbing. Kein Berg zu hoch, keine Wand zu steil, kein Überhang zu waagerecht. Wenn er wüsste, dass ich tatsächlich darüber nachgedacht habe, ein paar Sicherungshaken und ein Seil auf die Liste des Bootsverleihers zu setzen, würde er sich vermutlich Sorgen machen.
Heute ist mein Aufstieg kein Flirt mit dem Tod. Das Ziel ist eine in der zerklüfteten Wand kaum auszumachende Spalte etwa fünfzehn Meter über mir und ungefähr vier nach links versetzt. Für meine Verhältnisse bin ich langsam. Immer nur einen Halt lösen und einen neuen sicher finden, ehe ich den alten aufgebe. Der Fels ist kühl. Rau. Fühlt sich vertraut an. Früher waren wir bei gutem Wetter häufig hier draußen zum Klettern. Auch in den anderen Calanques oder auf der Île Maïre und am Cap Croisette. Vor allem nachdem Papa dahintergekommen war, was wir auf der Île d’If trieben, und sie daher für uns zum Sperrgebiet erklärt hatte. Nicht dass wir uns daran gehalten hätten. Wir waren nur vorsichtiger, nicht wieder erwischt zu werden. Wenn er das mit den Ketten herausgefunden hätte, hätten wir mindestens drei Wochen nicht sitzen können. Und der Stubenarrest, den er uns verpasst hätte, wäre lange genug gewesen, um uns eine Vorstellung davon zu geben, wie Dumas’ Edmond Dantès sich im Kerker des Château d’If gefühlt haben muss.
Hier, direkt über dem Meer, wächst noch immer nichts. Selbst den Möwen ist es zu ungemütlich. Weiter in den Calanques findet schon mal das ein oder andere Kraut Halt auf den Felsen
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