Das Blut Des Daemons
Rolle seines Bruders. Warum? Mir fielen nur zwei Gründe dafür ein: Julien brauchte mehr Zeit und hatte seinen Bruder gebeten, während seiner Abwesenheit auf mich aufzupassen, oder aber … – Plötzlich waren meine Hände schweißnass und meine Kehle eng. – Es war ihm etwas zugestoßen.
Ich drehte mich ein Stück weiter zu Adrien um. Die Spuren dessen, was Onkel Samuels Handlanger ihm angetanhatten, waren nicht mehr zu sehen. Auch seine Haare waren nicht mehr wasserstoffblond, nur die Länge war wie zuvor: stoppelkurz. Ein wenig hilflos suchte ich in seinen Zügen nach irgendeinem Hinweis. Immerhin konnte ich ihn ja kaum vor all den anderen nach Julien oder seinem Bruder fragen. Ob er wusste, dass Kate vor drei Tagen zu ihren Eltern nach Boston zurückgefahren war?
Die Schulklingel schrillte durch den Gang. Hatte ich bis eben das Ende der Pause herbeigesehnt, wünschte ich mir jetzt, dass sie noch ein Stück länger gedauert hätte.
»Was soll Dawn mir sagen?«, wiederholte er gerade und blickte dabei über mich hinweg Neal an.
»Dass du für den Vorentscheid im County-Schulturnier in einem Monat aufgestellt bist. Ab Montag dreimal die Woche Training. Der Plan hängt am schwarzen Brett aus.« Neal schob die Hände in die Hosentaschen.
»Aha.« Was hätte Adrien auch sonst sagen sollen. Ich bezweifelte, dass Julien ihn in mehr als das unbedingt Nötigste eingeweiht hatte – wenn überhaupt Zeit dazu gewesen war. »Was haben wir jetzt?« Adrien sah auf mich herab.
»Mathe.« Mehr brachte ich nicht hervor. Julien würde es nicht riskieren, dass die Fürsten ihnen auf die Schliche kamen, indem er Adrien hierherbestellte, nur damit der auf mich aufpasste. Das Brennen in meinem Magen zog sich zu einem dünnen Schmerz zusammen.
Adrien ließ mich los und trat zurück. »Dann sollten wir gehen, ehe wir zu spät kommen.« Über seiner Schulter hing Juliens Rucksack. Er trug sogar ein paar von Juliens schwarzen Jeans und eines seiner Hemden – die Sachen konnten aber auch aus Dubai stammen, immerhin war das meiste von Juliens Garderobe noch immer dort. Trotzdem: Er musste im Haus gewesen sein. Hatte er mich zuerst dort gesucht? Warum? Hatte Julien ihm gesagt, was mit mir los war?Woher hatte er einen Schlüssel? Und was war mit der Alarmanlage? Ich zuckte zusammen, als Beth sich bei mir einhängte und mich in Richtung Mathesaal zog. Susan winkte mir zu und trollte sich zusammen mit ihrem Halbbruder zu ihrem eigenen Unterricht. Auch Tyler hastete den Gang hinunter. Nur Neal zögerte noch einen Moment, ehe auch er sich davonmachte. Ich drehte mich zu Adrien um. Er folgte uns schweigend. Seine Miene verriet nichts.
Lieber Gott, bitte lass Julien nichts zugestoßen sein!
Wir schafften es gerade rechtzeitig in den Mathesaal. Die noch fast volle Cola-Dose hatte ich im Vorbeigehen in einem der Mülleimer entsorgt – und dafür einen bösen Blick von Beth kassiert. Ich sank auf meinen Platz neben ihr und versuchte Adrien unauffällig klarzumachen, dass seiner auf der anderen Seite des Ganges war. Nachdem Julien es geschafft hatte, seinen Stundenplan meinem bis auf ein paar wenige Kurse anzupassen, hatte er Paul, den Jungen, der ursprünglich dort gesessen hatte, dazu gebracht, ihm diesen Platz zu überlassen. Als habe es meine Blicke und das verstohlene Nicken gar nicht gebraucht, setzte Adrien sich, holte Stift, Block und Buch aus Juliens Rucksack und stellte ihn auf den Boden. Ich biss mir auf die Lippe. Warum sagte er nichts? Sah er denn nicht, dass ich mir Sorgen machte? Ich wollte alle Vorsicht über Bord werfen und mich zu ihm hinüberbeugen, als die Saaltür zuschlug und Mrs Jekens mit einem brüsken »Guten Morgen, wir haben Mathematik, stellen Sie Ihre Privatgespräche ein« in den Raum gefegt kam. Hilflos sank ich auf meinem Stuhl zurück. Jedem anderen hätte sie es vielleicht noch durchgehen lassen: Ich hatte diesbezüglich keine Chance. Mrs Jekens mochte keine Schüler, die mit so wenig mathematischem Verständnis geschlagen waren wie ich. – Und Julien hatte es sogar geschafft, binnen drei Unterrichtsstunden ganz oben auf ihrer Abschussliste zu landen:Indem er ihr bewiesen hatte, dass einige der Gleichungen, die sie uns hatte durchrechnen lassen, entweder gar nicht oder zumindest nicht auf die Art, wie sie behauptet hatte, zu lösen waren. Ein Schüler, der in Mathematik offensichtlich mehr draufhatte als sie selbst, war für sie anscheinend ebenso inakzeptabel wie einer, der trotz allen Bemühens und
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