Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das brennende Gewand

Das brennende Gewand

Titel: Das brennende Gewand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
Vom Netzwerk:
einsamen, unscheinbaren Gesellen, der an einem Brotkanten nagte. Dann lenkten ihn die beiden Schankmädchen von weiteren Betrachtungen ab. Die Fidgin und die Grit gehörten zu den Schülerinnen der Beginen, und an fünf Tagen in der Woche teilte er mit ihnen die Schulstube, um das Wunder der Buchstaben und Zahlen zu ergründen. Ihr Verhältnis zueinander konnte man als bewaffneten Frieden bezeichnen, bei dem gegenseitige Pieksereien zur Tagesordnung gehörten.
    »Er müsste fett wie eine Tonne Heringe sein, der Päckelchesträger, so viel, wie der frisst«, flüsterte Grit vernehmlich ihrer Freundin zu, als sie an seinem Tisch vorbeigingen.
    »Ach was, die Suppe steigt ihm in den leeren Kopf, nicht in den Magen. Darum ist er immer hungrig und kann nicht denken«, tönte Fidgin laut genug, dass drei Männer anfingen zu lachen und ihr einer beifällig auf die Kehrseite ihrer Röcke klatschte.
    »Besser den Kopf voller Suppe als voller Grillen und einen fetten Hintern voller Hummeln«, beschied Pitter sie gelassen und wischte seinen Napf mit Brot aus.
    Besagter Körperteil wurde verführerisch vor seinem Tisch geschwenkt, aber da Pitter wusste, wann ihm nur etwas vorgegaukelt wurde, widmete er sich lieber den kulinarischen Genüssen und sorgte somit unwissentlich für Enttäuschung.
    Wohlgesättigt erhob er sich schließlich und suchte die Adlerwirtin in der Küche auf, um ihr weitere Dienste anzubieten - sofern sie ihm einen Krug ihres Selbstgebrauten anvertraute.
    »Geh nur in den Schuppen, Pitter. Da steht das Bierfass. Aber nicht an den Braukessel gehen, darin gärt’s noch«, wurde er gemahnt.
    In dem Anbau neben der Küche, weit genug von der warmen Schmiede und ihren durstigen Kunden entfernt, hatte Franziska ihre Braustube eingerichtet. Es roch schon an der Tür nach Malz und Hefe, nach Gärung und bitterer Würze. Erwartungsvoll trat Pitter ein und blieb verdutzt stehen.
    Über den Rand des großen Kupferkessels gebeugt hing ein Mann.
    »Holla, du Suffnase!«, rief er und trat näher, um den Trinker auf sich aufmerksam zu machen. Dabei bückte er sich, um das zusammengefaltete Pergamentstückchen aufzuheben, das ihm ein Luftzug vor die Füße wehte. Dann aber erkannte er, was passiert war.
    »Heiliger Sankt Hadrian!«, rief Pitter den Patron der Schmiede, Bierbrauer und Boten zu Hilfe und trat näher an den Mann.
    Sein Kopf war zur Gänze in dem Bier untergetaucht.
    Pitter zögerte nicht lange, er packte den Mann bei den Schultern und versuchte, ihn herauszuhieven.
    Mit einem Krachen stürzte der Kupferkessel um, und die Gärmaische ergoss sich über den Boden und den Toten.
    Mit fliegenden Röcken stürzte die Wirtin herbei und begann unflätig zu schimpfen. Der Schmied stapfte in den Raum, und plötzlich waren auch alle Gäste, die Schankmaiden und zwei Reiter in dem Raum.
    Alle betrachteten ungläubig den im Bier Ertrunkenen, und in die andachtsvolle Stille fielen die geflüsterten Worte: »Der Herr sei ihm gnädig. Aber was für ein Tod!«
    Dann brach der Tumult los, und niemand achtete auf das kostbare Brevier, das von den Füßen in eine staubige Ecke gestoßen wurde.

5. Kapitel
    Almut erwachte vom Trillern und Jubilieren der Vögel vor ihrem Fenster. Es war noch früh, und kühle Luft zog durch die offenen Läden. Sie hatte sie am Abend nicht geschlossen, weil sie einer Nachtigall gelauscht hatte, deren fein gewobene Melodien eine bittersüße Sehnsucht in ihr ausgelöst hatten. Die braune Sängerin war nun verstummt, dafür schmetterten Finken und Goldammern, Rotkehlchen und Drosseln aus voller Kehle ihre Lieder. Zart wehte der Duft von Rosen um sie, denn am Tag zuvor hatte sie gebadet und die kostbare Essenz verwendet, die Aziza ihr geschenkt hatte. Auch die Maiglöckchen in dem kleinen Zinnbecher verströmten ihren Wohlgeruch. Glücklich kuschelte sie sich in ihre Decken und schloss noch einmal die Augen.
    Es war das Bild eines Mannes, das sie hinter ihren Lidern sah. Eines groß gewachsenen, grauhaarigen Mannes, dessen schwarze Brauen und die an beiden Seiten seines Mundes sich herabziehenden schwarzen Strähnen in seinem kurz geschnittenen Bart auf seine ehemalige Haarfarbe hinwiesen. Sie gaben ihm ein grimmiges Aussehen, und sie hatte ihn auch schon oft genug in dieser bitteren Stimmung erlebt. Doch als er gestern vor der Abendmesse, nach dreiwöchiger Abwesenheit, der Meisterin seine Aufwartung gemacht hatte, milderte das Leuchten in seinen Augen diesen Eindruck. Und als er sie begrüßte,

Weitere Kostenlose Bücher