Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
de Chateaubriand hier bei der Buchführung! Der Herr Professor Amiel hier auf einem königlich hohen Hocker! Der Herr Comte Alfred de Vigny beim Rechnungenschreiben für das Kaufhaus Grandela! Senancour [75] in der Rua dos Douradores!
Nicht einmal der arme Paul Bourget [76] , dessen Bücher so ermüdend sind wie ein Treppenhaus ohne Aufzug … Ich drehe mich nach dem Fenster um und schaue hinaus, um meinen Boulevard Saint Germain noch einmal genau ins Auge zu fassen, in just diesem Augenblick spuckt der Sozius des Plantagenbesitzers von nebenan auf die Straße.
Und zwischen dem Nachdenken über all dies und dem Rauchen, ohne das eine recht mit dem anderen zu verbinden, trifft mein geistiges Lächeln auf den Rauch, verheddert sich in meiner Kehle und tritt mit einem verhaltenen Lachanfall hörbar zutage.
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Manchen mag dieses von mir für mich geschriebene Tagebuch zu künstlich vorkommen. Aber alles Künstliche entspricht meinem Naturell. Womit sonst könnte ich mich unterhalten, wenn nicht mit dem sorgfältigen Aufzeichnen meines geistigen Lebens? Im übrigen ist die Sorgfalt, die ich darauf verwende, nicht allzu groß. Ich bemühe mich weder um eine besondere Anordnung noch um eine ausgefeilte Form. Ich denke dabei ganz selbstverständlich in der mir eigenen gewählten Sprache.
Ich bin ein Mensch, für den die äußere Welt eine innere Wirklichkeit ist. Ich nehme dies nicht metaphysisch wahr, sondern mit den Sinnen, mit denen wir die Wirklichkeit für gewöhnlich in uns aufnehmen.
Unsere Leichtfertigkeit von gestern ist heute eine beständige Sehnsucht, die mein Leben zermürbt.
In dieser Stunde liegen Klöster. Der Tag verlischt über unseren Ausflüchten. In den blauen Augen der Teiche spiegelt eine letzte Verzweiflung das Sterben der Sonne. So vielerlei waren wir in den alten Gärten; so sinnlich fanden wir uns wieder in der Gestalt der Statuen, im englischen Zuschnitt der Alleen. Gewänder, Florette, Perücken, Verbeugungen und Prozessionen, so sehr waren sie Teil unserer geistigen Substanz. Doch wer ist »wir«? Der Strahl, mehr nicht, im Brunnen des verlassenen Parks, beschwingtes Wasser, das nur schwer noch aufsteigt bei seinem traurigen Versuch zu fliegen.
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… und die Lilien an den Ufern ferner Flüsse, kalt und feierlich, an einem nicht endenden Tagesende inmitten wirklicher Kontinente.
Nicht mehr, und dennoch wahr.
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(lunar scene)
Diese ganze Landschaft ist nirgendwo.
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Unten, in einem Gefälle sich abwärts ziehender Schatten, fern der Höhe, auf der ich stehe, schläft eisig im Mondlicht die Stadt.
Verzweiflung über mich, tiefe Angst, für immer in mir gefangen zu sein, überkommt mich, setzt sich fest in mir, und ich bin nur mehr Zärtlichkeit, Furcht, Schmerz und Untröstlichkeit.
Ein so unerklärliches Übermaß an absurdem Kummer, ein so trostloser Schmerz, so gottverlassen, so metaphysisch mein […]
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Ungewiß und schweigend breitet sich die Stadt vor meinen sehnsüchtigen Augen aus.
Die Häuser, alle verschieden, bilden eine in sich ruhende Masse, ein regloses Auf und Ab im Perlmutt des ungewiß gefleckten Mondlichts. Dächer und Schatten, Fenster und Mittelalter. Für Vororte kein Platz. Auf allem Sichtbaren liegt ein Hauch von Ferne. Über mir die schwarzen Äste von Bäumen, und in meinem entmutigten Herz der Schlaf der ganzen Stadt. Lissabon im Mondlicht, und müde schon mein Morgen!
Was für eine Nacht! Wer auch immer Urheber der kleinen Dinge dieser Welt war, es hat ihm gefallen, daß die angenehmste Befindlichkeit, die schönste Melodie für mich dieser verlorene Moment im Mondlicht ist, in dem ich mich kennend nicht wiedererkenne.
Kein Lufthauch, kein Mensch unterbricht, was ich nicht denke. Ich bin so müde, wie ich munter bin. Nur meine Augenlider fühlen sich an, als mache sie etwas schwer. Ich höre mich atmen. Schlafe ich, oder bin ich wach?
Meine Füße heimwärts zu bewegen ist ein bleischweres Unterfangen meiner Sinne. Die Süße des Verlöschens, die Blume, Geschenk des Nutzlosen, mein nie ausgesprochener Name, meine Unruhe zwischen Ufern, das Privileg überlassener Pflichten und, hinter der letzten Biegung des uralten Parkes, wie ein Rosengarten das andere Jahrhundert.
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Ich betrat wie gewohnt das Friseurgeschäft, glücklich, so leicht und ungehemmt mir bekannte Häuser betreten zu können. Meine Scheu vor Neuem ist beängstigend: Ruhig bin ich nur, wo ich schon gewesen bin.
Während ich mich in den Stuhl setzte, fragte ich
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