Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung
glaubten, suchten die kurze Zeit, die ihnen noch blieb, zu nutzen, um noch einmal höchstes Liebesglück zu erfahren und in seliger Umarmung einen gemeinsamen Tod zu sterben. Die schlechtesten Zahler trugen das schuldige Geld zu ihren Gläubigern, die sich aber nicht mehr darum kümmerten. Oberst Beaumarchais verschenkte Teile seines materiellen Besitzes an seine Dienerschaft, in der vagen Hoffnung, durch diese erste selbstlose Tat seines Lebens seine Angst vor dem Sterben zu mildern.
Die Bediensteten scherten sich wenig um diese plötzliche Großzügigkeit ihres Herrn, waren sie doch viel zu sehr um ihre eigenen letzten Stunden auf Erden besorgt. Einzig die Mannheimer Kisten, die in den Besitz eines Stalljungen übergingen, wurden sofort abtransportiert.
Nicht etwa weil der achtzehnjährige Diener als einziger Mensch in Paris der Unfehlbarkeit des Herrn de Lalande misstraut hätte. Vielmehr war die Sorglosigkeit seines Alters die Kraft seines Antriebs.
Als der Oberst am 1. Januar 1800 erwachte und realisierte, dass er das 19. Jahrhundert unbeschadet erreicht hatte, ließ er sogleich seine gesamte Dienerschaft zusammenrufen. In einer feurigen Rede betonte er, dass er niemals auch nur eine Sekunde den Berechnungen des Scharlatans de Lalande geglaubt hätte, und dass überhaupt in diesem neuen Jahrhundert des Fortschritts kein Platz mehr für derartige Fantastereien sei. Die Schenkungen, die er am vorherigen Tage vorgenommen hatte, waren selbstverständlich nicht ernst gemeint gewesen und lediglich dazu da, um die Loyalität des Personals zu testen. Zum Glück, stellte er fest, war alles im Hause noch an seinem Platz. Als man ihm mitteilte, dass der Stallbursche sehr wohl zwei Kisten seiner Kriegsbeute mitgenommen hatte und dass man heute Morgen bereits nach ihm gesucht hatte, ihn aber nirgends finden konnte, erlitt der Oberst einen Schwächeanfall und verstarb, noch bevor man ihn aus dem Foyer seines Hauses tragen konnte.
Der geflohene Diener, der in der Kaschemme eines Freundes untergekommen war, öffnete unterdessen die Holzbehälter und erschrak, als er sah, dass es sich nicht wie erwartet um Gold- und Silberschmuck oder um Besteck handelte. Die Bücher und Gemälde schienen ihm wertlos zu sein. Er verkaufte die Bücher für zwei Francs an einen Buchhändler in der Rue Saint Augustin. An den Bildern zeigte der Käufer kein Interesse. Lediglich ein Porträt einer jungen Dame erwarb er für einen weiteren Franc, weil es ihn an seine Jugendliebe erinnerte. Der Händler hängte es sich neben seinen Kamin, von wo er es immer dann betrachten konnte, wenn er sich vom Beischlaf mit seiner Gattin erholte.
Die astronomischen Bücher veräußerte er für ein Vielfaches des Einkaufspreises. Mit dem sonderbaren Buch, hinter dessen doppeltem Einband er einen Titel entdeckte, der sich auf dem Gemälde wiederfand, wusste er nichts anzufangen. Er stellte es als Dekoration auf einen kleinen Hocker unter das Bild. Er las es nie.
* * *
Es dauerte Jahre, bis ich das Buch und auch das Bildnis bei einem Trödler in Paris wiederfand und für einen Spottpreis erwarb. Endlich kann ich mein Versprechen einlösen und diese Erzählung mit einem letzten Kapitel abschließen. Es gab noch eine Sache, die der Kurfürst mir auf dem Dach der Sternwarte sagte, die ich nie vergessen habe.
»Ja, es stimmt. Ich habe mich in jungen Jahren der Gesellschaft der zwei Krähen angeschlossen. Ich war des Lebens überdrüssig und ermutigte die Männer zu ihren Attentatsplänen. Viele fürchterliche Dinge habe ich mir in dieser Zeit zuschulden kommen lassen. Geht nun, mein lieber Mannlich. Und hütet Euch davor meine Fehler zu wiederholen.«
Nun, da auch dieses letzte Geheimnis gelüftet ist, werde ich diese Erzählung zurück zu dem Trödler bringen. Der Kurfürst ist lange tot. Soll das Schicksal entscheiden, ob diese Worte einst den richtigen Lesern in die Hände fallen – oder nicht.
Anmerkungen des Autors
Die Geschichte der Zwei Krähen geht weiter:
Im Thriller „Die Partie“, ebenfalls als eBook erhältlich.
Ein Wahnsinniger veranstaltet eine mörderische Schachpartie – dafür dient ihm der schachbrettartige Grundriss der Mannheimer Innenstadt als Spielbrett. Die Hinweise, die die Polizei erhält, führen zurück in die Vergangenheit: Zum Kurfürsten Carl Theodor, der einst die Illuminaten verbieten ließ, und zu einer weiteren sonderbaren Geheimgesellschaft. Kommissar Kimski, ehemaliger SEK-Beamter, lässt sich auf das
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