Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung
Blick an.
»Eines Tages wird alles gut sein, das ist unsere Hoffnung – das hat Voltaire gesagt.«
»Schöne Worte.«
Der Fürst machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Ich habe den Glauben daran, dass eines Tages die Vernunft unter den Menschen regieren wird, lange aufgegeben. Ich selbst habe viele Entscheidungen getroffen, die anderen Menschen geschadet haben. Von niederen Instinkten getrieben. Unvernünftig.«
Mannlich sah ihn erstaunt an.
»Wenn ich Euch einen Rat mit auf den Weg geben darf, mein Freund: Verfallt nie dem Irrglauben der Jugend, dass man mit Geheimgesellschaften die Welt verändern könnte. Zuerst muss ein jeder mit sich selbst ins Reine kommen, bevor er die anderen ändern kann. Die Schuld auf die anderen zu schieben, diejenigen, die in den eigenen Augen die weniger Erleuchteten sind, das bringt nichts. Es ist einfach, die herrschende Klasse zu beschuldigen ... mich als Kurfürsten zu anzuschuldigen. Aber es ist schwer, Verantwortung für die eigenen Taten zu übernehmen.«
Sie sahen sich schweigend an. Dann, plötzlich, erhellte sich die Miene des Herrschers und er legte seinem Gegenüber eine Hand auf die Schulter.
»Lasst uns nicht mehr über philosophisches Zeug reden! Ihr fragt Euch sicherlich, warum ich Euch hierher bestellt habe, an diesen einsamen Ort, zu abendlicher Stunde. Ihr erinnert Euch, dass ich sagte, dass Ihr noch eine Änderung an diesem Gemälde durchführen sollt. Jetzt ist es so weit. Es ist keine große Sache, lediglich den Titel dieses Buches sollt Ihr auf das auf dem Kunstwerk abgebildete Band einfügen.«
Mannlich sah ihn mit einem Blick, der sagte: »Das ist alles?«
»Wie ich erwähnte, werde ich zurück nach München gehen. Fragt nicht weshalb. Ich denke, es ist richtig, mit der Vergangenheit abzuschließen und einen neuen Schritt im Leben zu wagen. Das Bild, das Ihr in der Hand haltet, werde ich nicht mitnehmen. Auch dieses Buch werde ich hier lassen. Es handelt sich um meine geheimen Memoiren, auch wenn sie eher in Romanform verfasst sind.«
Er reichte Mannlich das Buch.
»Ihr seid der Erste, der dieses Manuskript sieht. Ich bitte Euch hiermit um einen Gefallen. Lest es von mir aus, aber dann wickelt es in einen falschen Einband und versteckt es in der hintersten Ecke der Bibliothek in der Sternwarte. Wenn ihr mich überlebt, dann schreibt ein letztes Kapitel.«
»Aber ...«
»Ich möchte nicht, dass jedermann meine intimsten Geheimnisse lesen kann, schon gar nicht zu meinen Lebzeiten. Ich habe diese Seiten geschrieben, um meinen Kopf zu reinigen. Jetzt habe ich das Buch zugeschlagen und mache einen Schritt nach vorne, um die Monate oder Jahre, die mir noch bleiben, in Frieden zu leben. Vielleicht wird irgendwann jemand dieses Werk finden, dann soll es so sein. Hängt das Gemälde von mir aus direkt zwischen die Bücherregale. Möglicherweise wird eines Tages jemand schlau genug sein und sich fragen, was es mit diesem Buch auf sich hat, das darauf abgebildet ist.«
Mannlich nickte. Auch wenn er den Kurfürsten nicht verstand.
Die Sonne war komplett im Rhein verschwunden. Das Blau der Abenddämmerung legte sich über die Stadt.
Wenige Tage später machte Carl Theodor seine Ankündigung wahr und reiste mit seinem Hofstaat nach München. Diesmal für immer. Johann Christian von Mannlich las die Erzählung des Kurfürsten, und nach der Lektüre war ihm klar, dass dieses Buch vor dem Tode des Herrschers nicht veröffentlicht werden konnte. Er machte alles genau so, wie man es ihm aufgetragen hatte, dann verließ auch er Mannheim.
Noch etliche Male führte ihn sein Weg zurück in die Stadt, wo er Freunde und Bekannte besuchte, so auch im Juni des Jahres 1793. Mannlich suchte bei diesem Besuch die Bibliothek der Sternwarte auf, um nach dem Buch und dem Gemälde zu sehen. Es war in diesen Tagen, dass auf der anderen Seite des Rheins die von den französischen Revolutionstruppen besetzte Stadt Mainz von preußischen Truppen belagert wurde. Unter den Mannheimer Damen war es zu einer Mode geworden, sich allabendlich auf dem Dach des Observatoriums einzufinden und das Schauspiel zu genießen, wenn die Bomben in die unglückliche Stadt geschleudert wurden und aus ihr herausflogen. Mannlich verabscheute diese Art der Zerstreuung. Es kam ihm vor, als sei er der Einzige, der darüber nachdachte, dass dieses Feuerwerk, das man bei einem Glas Wein am Horizont beobachten konnte, bald die eigene Stadt treffen könnte. So kam es auch. Zuerst nahmen die Franzosen
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