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Das Buch meiner Leben

Das Buch meiner Leben

Titel: Das Buch meiner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Heamon
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anderen, schwächeren Kindern abgenommen hatten. Der Park war daher unsere rechtmäßige Domäne, unser souveränes Territorium, das Fremde nicht betreten durften, schon gar nicht Mitglieder einer anderen raja – jeder verdächtige Unbekannte wurde sicherheitshalber durchsucht oder gleich vertrieben. Einmal führten wir erfolgreich Krieg gegen eine Gruppe von Teenagern, die glaubten, in unserem Park rauchen, trinken und herumknutschen zu können. Wir bewarfen sie mit Steinen und nassen Papiergeschossen, wir nahmen sie uns einzeln vor, schlugen ihnen mit langen Stöcken auf die Beine, während sie hilflos mit den Armen ruderten. Manchmal versuchte eine raja, die Herrschaft über den Park zu erlangen, und dann kam es zu Krieg – wir schlugen uns die Köpfe ein, hatten blaue Flecken am ganzen Körper, denn jeder von uns ging mit äußerster Entschlossenheit vor. Nur wenn der mächtige Zeko mit seinen Jungs auftauchte, mussten wir mitansehen, wie sie auf unserer Rutsche rutschten, auf unseren Schaukeln schaukelten, in unseren Sandkasten pissten und in unser Gebüsch kackten. Wir konnten uns nur ausmalen, welch gnadenlose Rache wir später einmal üben würden.
    Wenn ich nicht in der Schule war oder Bücher las, machte ich bei irgendwelchen kollektiven Unternehmungen meiner raja mit. Wir schützten nicht nur die Souveränität des Parks und führten diverse Kriege, sondern besuchten einander zu Hause, tauschten Comics und Anstecknadeln von Fußballclubs, stahlen uns gemeinsam in das nahegelegene Kino » Arena « , suchten im elterlichen Schlafzimmer nach Hinweisen auf sexuelle Aktivitäten und gingen zu Geburtstagsfeiern. Meine oberste Loyalität galt der raja, andere kollektive Zugehörigkeiten waren vollkommen abstrakt und absurd. Gewiss, wir alle waren Jugoslawen und Pioniere, und wir liebten Tito, den Sozialismus und unser Heimatland, aber dafür wäre ich nie in den Krieg gezogen, und nie hätte ich mich dafür verprügeln lassen. Unsere anderen Identitäten, etwa die jeweilige Volksgruppe, spielten keine Rolle. Wenn wir uns überhaupt einer bestimmten Volksgruppenzugehörigkeit bewusst waren, so bezog sich das auf die altmodischen Gewohnheiten der Erwachsenen, die mit unseren täglichen Unternehmungen nichts zu tun hatten, schon gar nichts mit unserem Kampf gegen die Tyrannei von Zeko und seinen Mannen.
    Eines Tages gingen wir zu Almirs Geburtstagsfeier. Almir war etwas älter als ich und daher eine Autorität in vielen Dingen, von denen ich nichts verstand, einschließlich der Sprengkraft von Asbest, der bei uns » Glaswolle « hieß und uns praktisch unbeschränkt zur Verfügung stand. Als Almir einmal eine Handvoll Glaswolle, in Papier eingewickelt, wie eine Handgranate warf, duckte ich mich, denn er hatte uns eine Explosion versprochen, die jedoch ausblieb. Almir war auch alt genug, um sich für Rockmusik zu interessieren, weshalb er auf seiner Geburtstagsfeier » Bijelo Dugme « auflegte, die Rockband aus Sarajevo, die mit ihren langen Haaren und ihrer antisozialen, antisozialistischen, dummen Musik unsere Eltern in Angst und Schrecken versetzte. Abgesehen davon war Almirs Geburtstagsfeier wie jede andere auch – wir aßen belegte Brote, tranken Limonade, sahen zu, wie er die Kerzen auf der Torte ausblies, und überreichten unsere Geschenke.
    Almir hatte sich festlich angezogen, in diesem Fall bedeutete das ein schwarz-orange gestreifter Pullover, weich und vergleichsweise schick – unsere sozialistischen Sachen waren ausgesprochen eintönig. Es war ganz sicher kein jugoslawischer Pullover. Auf meine Frage, woher er sei, antwortete Almir: » Aus der Türkei. « Da rief ich: » Dann bist du also ein Türke! « Das sollte ein Scherz sein, aber niemand lachte. Niemand fand diese Bemerkung witzig. Meine Pointe, dass der ausländische Pullover Almir in einen Ausländer verwandelt hatte, war ja nur möglich, weil es offenkundig nicht zutraf. Der verunglückte Witz veränderte die Geburtstagsstimmung. Almir fing, für mich völlig unerklärlich, auf einmal an zu weinen, und alle anderen schauten mich vorwurfsvoll an. Ich bat sie, mir zu erklären, was ich gesagt hatte. Doch da sie nichts sagen wollten oder konnten, unternahm ich selbst einen Erklärungsversuch, was die ganze Sache nur noch schlimmer machte. Man erspare es mir, den Weg in die Katastrophe zu schildern – die Geburtstagsfeier war rasch vorbei, alle gingen nach Hause, und für alle stand fest, dass ich den Tag ruiniert hatte. So zumindest habe ich es

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