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Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Titel: Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blum
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1 Eine Karte des Internets
    An jenem Januartag, an dem ich in Milwaukee ankam, war es so kalt, dass selbst die Straßen ganz bleich waren. Entstanden ist die Stadt 1846 durch den Zusammenschluss dreier rivalisierender Siedlungen, die sich um einen breiten Hafen am westlichen Ufer des Michigansees gruppierten. Vier Jahre später stellte die Eisenbahnlinie nach Waukesha eine Verbindung zwischen Milwaukee und dem Hinterland her, zwischen den ertragreichen Weizenfeldern des Mittleren Westens und den wachsenden Städten im Osten. Schon bald wurden Rohstoffe in Milwaukee nicht nur verschifft, sondern auch verarbeitet: Hopfen zu Bier, Kühe zu Leder und Weizen zu Mehl. Dank des zunehmenden Erfolgs dieser Industrie – und des Zustroms deutscher Einwanderer – entwickelten sich diese ersten verarbeitenden Betriebe zu einer breit gefächerten, auf Präzisionsfertigung spezialisierten Industrie. Ihr Zentrum lag im Menomonee Valley, dessen moskitoverseuchte Sümpfe nach und nach trockengelegt und zur Wiege einer rasant wachsenden, kohlebefeuerten Industrie wurden. »Die Industrie Milwaukees ist weltbekannt«, schwärmte der im Rahmen des Federal Writers Project entstandene Wisconsin-Führer aus dem Jahr 1941. 8 »Die Palette der in den gigantischen Fabriken dieser Stadt hergestellten Produkte reicht von 600 000 Kilogramm schweren Turbinen bis zu Teilen, die so klein sind, dass man sie nur mit Hilfe eines Vergrößerungsglases verarbeiten kann. Dampflöffelbagger aus Milwaukee haben den Panamakanal gegraben, Turbinen aus Milwaukee haben die gewaltige Energie der Niagarafälle nutzbar gemacht, Traktoren aus Milwaukee pflügen die Äcker der meisten Anbaugebiete der Erde, und in Milwaukee hergestellte Winkelzahnräder findet man in afrikanischen und mexikanischen Bergwerken, südamerikanischen Zuckerfabriken sowie japanischen, indischen und australischen Walzwerken.« Milwaukee hatte sich zum Mittelpunkt eines riesigen Industriekonglomerats entwickelt, das als »Werkstatt der Welt« galt.
    Es sollte nicht ewig währen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die unbeweglichen Stahlschienen der Eisenbahn von den flexiblen Reifen der auf neu errichteten Straßen rollenden LKW s abgelöst. Die starren Netzwerke wurden beweglicher. Und im Menomonee Valley begann ein langsamer Abstieg, der die Entwicklung des verarbeitenden Sektors in den USA insgesamt widerspiegelte. Die Vereinigten Staaten wurden zu einem Land, das eher Ideen produziert als Dinge. Aus der »Werkstatt der Welt« wurde der »Rust Belt« – ein Musterbeispiel des Niedergangs. Milwaukees Fabriken wurden geschlossen – und schließlich, in jüngerer Zeit, zu Wohnanlagen mit Eigentumswohnungen umgebaut.
    Doch die Industrie ist aus Milwaukee nicht komplett verschwunden. Es gibt sie noch, aber wie so vieles in amerikanischen Städten hat sie sich aus der Innenstadt hinaus in die Vororte verlagert. Eines frühen Morgens folgte ich ihrer Spur und befuhr von meinem Hotel im Zentrum aus eine menschenleere Straße, die in ein gerade erst entstandenes Industriegebiet im Nordwesten der Stadt führte. Ich kam an einem McDonald’s, einem Denny’s, einem Olive Garden- und einem IHOP -Restaurant vorbei und bog nach einem Honda-Händler links ab. Hoch über mir verlief eine Hochspannungsleitung, während der Wagen über ein Nebengleis holperte, das die zwanzig Kilometer zum Menomonee Valley zurückführte. An einer Reihe von glatten, breiten Vorstadtstraßen stieß ich hier auf eine Konzentration von Industriebetrieben, auf die William Harley und Arthur Davidson stolz gewesen wären. In einem Gebäude wurden Bierdosen hergestellt, in einem anderen Kugellager. Es gab Fabriken für Autoschlüssel, Flugzeugteile, Konstruktionsstahl, Widerstände, Kohlebürsten und Maskottchenkostüme sowie für Industrieschilder, auf denen Dinge standen wie »Beim Be- und Entladen Bremskeile verwenden«. Mein Ziel war das schmucke braune Gebäude gegenüber, auf das die riesigen Lettern » KN « gemalt waren.
    Die Anfänge von Kubin-Nicholson reichen ins Jahr 1926 zurück. Damals hatte die Druckerei ihren Sitz in der South 1st Street und stellte im Siebdruckverfahren Kinoplakate her. Im Lauf der Zeit kamen Schilder für Metzger, Lebensmittelläden und Kaufhäuser hinzu. Später konzentrierte man sich auf Werbeplakate für Zigaretten, die in Milwaukee gedruckt und im ganzen Mittleren Westen aufgehängt wurden. Kubin-Nicholson bezeichnet sich als »Printers of the humongous«, als Spezialist für

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