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Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Bewusstsein, und sie versuchte zu antworten,
brachte aber nur einen wimmernden Laut über die Lippen. Ein
einzelner Blutstropfen lief wie eine glänzende dunkelrote Träne
an ihrem Kinn hinab.
»Nicht reden«, sagte er hastig. »Sei still! Versuch nicht zu
sprechen. Ich helfe dir!« Helfen? Eine eisige Faust schloss sich
um Andrejs Herz und drückte es so erbarmungslos zusammen,
dass er nicht mehr atmen konnte, als sein Blick auf ihr Kleid fiel.
Der ehemals blütenweiße Stoff färbte sich so schnell rot, dass
er erschrocken aufkeuchte. Unter ihrem Körper begann sich
bereits eine dunkelrote Lache zu bilden, die in der eisigen Luft
dampfte. Im Dorf hinter ihm wurde noch gekämpft, und der
Feuerschein war wieder heller geworden, aber das bemerkte
Andrej kaum. Mit einer einzigen Bewegung zerriss er den Stoff
ihres Kleides und hätte beinahe laut aufgeschrien, als er den fast
handbreiten Stich unter ihrer linken Brust sah. Die Klinge des
Daugers konnte ihr Herz nur um Haaresbreite verfehlt haben,
und die Wunde blutete so stark, als hätte sie es tatsächlich
durchbohrt. Und – viel schlimmer noch – er konnte nicht nur
sehen, er konnte spüren, wie das Leben aus ihr herausfloss. Eine
warme, ruhig brennende Flamme war in ihr, und sie hatte ihr ihr
Leben lang den Weg erhellt. Jetzt begann sie zu erlöschen,
lautlos und unaufhaltsam. Er sah es in ihrem Blick.
Nein. Das durfte nicht sein. Das durfte nicht sein! Verzweifelt
presste Andrej die Hände auf die Wunde, als könnte er den
Blutstrom auf diese Weise stoppen, aber er schien es so nur
noch schlimmer zu machen. Er konnte spüren, wie rasend
schnell ihr Herz unter seinen Fingern hämmerte, und mit jedem
einzelnen Schlag sprudelte das Leben weiter aus ihr heraus. In
seiner Verzweiflung griff er in sie hinein, tastete nach der
erlöschenden Flamme, die die Dunkelheit in ihrer Seele kaum
noch zu erhellen vermochte, und versuchte, den Prozess
umzukehren, aus dem Nehmen, das er so oft getan hatte, ein
Geben zu machen, und sei es um den Preis seines eigenen
Lebens.
Aber es ging nicht. Er konnte es nicht. Alles, was er je gekonnt
hatte, war Zerstören, nicht Erschaffen. Urd starb unter seinen
Händen – durch seine Schuld! – und es gab nichts, was er
dagegen tun konnte.
Eine hünenhafte Gestalt landete mit solcher Wucht neben ihm
auf dem Deck, dass das gesamte Schiff schwankte. Andrej sah
auf und erwartete, Abu Dun zu sehen, aber es war Thure,
wenngleich ihm der Nubier auf dem Fuße folgte. Beide waren
blutbesudelt und außer Atem, und ihrer beider Kleider hingen in
Fetzen.
»Sie stirbt, Thure«, sagte Andrej. Er merkte nicht einmal, dass
ihm die Tränen über das Gesicht liefen. »Sie wollte mich retten,
und jetzt stirbt sie!«
    Thure fiel neben ihm auf die Knie und drückte seine Hände
beiseite. Sein Gesicht erstarrte zu einer ausdruckslosen Maske,
als er die schreckliche Wunde in der Brust seiner Schwester sah.
»Nicht, wenn ich es verhindern kann.«
    Verhindern? Andrej zweifelte an Thures Verstand. Urd starb, jetzt und in diesem Moment und unter ihren Händen! Der
Schmerz um seine Schwester musste seine Sinne verwirrt haben.
    Thure stieß ihn jedoch derb zur Seite, lud sich seine Schwester
auf und sprang. »Aus dem Weg!«, brüllte er. »Macht Platz! Und
schickt Werdandi und Skuld zu mir!« Er sprang auf den Steg
hinauf und rannte los.
    Abu Dun half ihm auf die Beine, bückte sich nach dem
Schwert, das Andrej fallen gelassen hatte und gab es ihm.
Andrej nahm es mit leerem Blick entgegen und steckte es ein.
»Es tut mir leid«, sagte Abu Dun leise.
    Andrej blickte ihn eine Sekunde lang ausdruckslos an und
schloss dann die Augen. In ihm war plötzlich nichts als Leere.
»Ja«, flüsterte er. »Mir auch.«
    Abu Dun setzte zu einer Antwort an, aber dann sagte er nichts,
sondern lächelte nur traurig, trat mit einem großen Schritt auf
den Steg hinauf und wandte sich wieder um, um auch Andrej
hinaufzuhelfen. Andrej ignorierte die ausgestreckte Hand und
trat müde neben ihn. Er wartete darauf, dass der Schmerz kam,
aber die Leere in ihm blieb. »Warum hat sie das getan?«, fragte
Abu Dun.
    Weil sie nicht wollte, dass ich sterbe. Weil sie lieber ihr eigenes Leben geopfert hat, als zuzusehen, wie ich sterbe.
Er sagte nichts, sondern schlang nur den Mantel enger um die
Schultern und ging.
Der Kampf war vorbei, aber es war nicht stiller geworden. Das
Dach eines Hauses hatte Feuer gefangen, und Dutzende von
Männern und

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