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Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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1
    Selbst von der Höhe der Klippe aus war die Verheerung nicht zu
übersehen. Früher einmal musste das kleine Küstenstädtchen ein
beschaulicher Ort gewesen sein, an dem friedliebende Menschen
ein ebenso langweiliges wie zugleich erfülltes Leben geführt
hatten, ihrem Tagewerk nachgegangen waren und zu ihren
Göttern gebetet hatten, ihre Kinder aufgezogen und von einer
besseren Zukunft für sich und ihre Familien geträumt hatten.
Wenn man die Augen schloss und dem Flüstern des Windes
lauschte, meinte man noch einen Hauch dieser Zeit wahrnehmen
zu können: das Lachen der Kinder, das geschäftige Hämmern
der Handwerker und die Stimmen der Frauen, die sich fröhlich
unterhielten oder auch stritten, das Knarren der Bootsrümpfe,
die in der Dünung schwankten, und das schwere Flappen der
Segel, die noch nass vom letzten Regen von den Rahen hingen.
Jetzt hingegen …
    Andrej öffnete die Augen, und die Vision zerplatzte wie eine
Schaumblase auf einem Wellenkamm. Seit sie hier heraufgekommen waren, hatte sich der Wind gedreht, sodass die eisige
Luft jetzt nicht mehr nur von Salzwasser- und Schneegeruch
erfüllt war, sondern auch das schwere Miasma von verbranntem
Holz, Leder und Fleisch zu ihnen heraufwehte. Dort unten
waren schon lange keine spielenden Kinder mehr. Das einzige
Schiff, das er sah, lag mit aufgerissenem Rumpf auf der Seite,
ein sterbender hölzerner Wal, der sich mit letzter Kraft den
Strand heraufgeschleppt hatte, nur um dort zu verenden, und aus
dem geschäftigen Hantieren und den fröhlichen Stimmen war
wohl in den letzten Augenblicken ein Chor gellender Schreie
und Waffengeklirre geworden, später vielleicht auch noch ein
leises Wehklagen, und möglicherweise die eine oder andere
Stimme, die zu den Göttern schrie und sie um Hilfe anflehte und
sie vielleicht im allerletzten Moment verfluchte, dass diese Hilfe
nicht kam, der Pakt, der ohnehin nur einseitig geschlossen
worden war, nicht erfüllt wurde.
»Was glaubst du, wie lange es her ist?«
    Abu Duns Stimme riss Andrej unsanft in eine Wirklichkeit
zurück, von der er nicht ganz sicher war, dass sie sich als besser
herausstellen würde als die schrecklichen Bilder, mit denen ihn
seine eigene Fantasie in den letzten Minuten geplagt hatte.
Dennoch blieb er für einige weitere Augenblicke völlig reglos
stehen und sah auf das verwüstete Dorf hinab, bevor er – mit
einiger Verspätung und so mühevoll, als müsse er dabei alle
Last der Welt bewegen – die Schultern hob und sich zu dem
riesenhaften Nubier umwandte, wobei er gleichzeitig einen
kleinen Schritt von der Klippe zurücktrat. »Schwer zu sagen«,
antwortete er. Sein Gesicht und seine Lippen waren so steif
gefroren, dass er nicht einmal mehr verständlich sprechen
konnte. Und der eisige Wind tat ein Übriges, um auch noch das
allerletzte bisschen Wärme aus ihm herauszureißen. Flüchtig
kam ihm zu Bewusstsein, dass Abu Dun wohl sehr viel mehr
unter der Kälte leiden musste als er, denn der Nubier war in
einem Land geboren und aufgewachsen, in dem die Menschen
nicht einmal ahnten, dass es Temperaturen wie diese überhaupt
gab. Er musste sich aber auch widerwillig eingestehen, dass sein
Freund und Weggefährte zumindest äußerlich weitaus besser mit
den widrigen Umständen zurechtzukommen schien als er. Abu
Dun hatte den schweren Mantel, dessen Stoff von der gleichen
nachtschwarzen Farbe war wie sein Turban, seine Stiefel und
auch sein Gesicht, um die Schultern geschlungen und sorgsam
geschlossen und einen Teil seiner orientalischen Kopfbedeckung
wie einen Schal vor das Gesicht geschlagen, sodass wenig mehr
als ein schmaler Streifen über den Augen sichtbar war, aber
anders als Andrej zitterte er nicht am ganzen Leib vor Kälte und
brachte es sogar fertig, einigermaßen verständlich zu sprechen.
Flüchtig rauschte der Gedanke durch Andrejs Kopf, ob der
Nubier sich vielleicht mit Absicht so verhielt, um ihn zu
demütigen.
    »Es kann ein paar Stunden her sein … oder auch Monate. Wer
will das in diesem verrückten Land sagen?«
Abu Dun runzelte zur Antwort nur die Stirn, das aber so
heftig, dass sein Turban nach vorne rutschte und ihm für einen
Moment die Sicht nahm. Er grunzte irgendetwas, das Andrej
nicht verstand und auch gar nicht verstehen wollte, trat nun
seinerseits so dicht an die Klippe heran, dass seine Stiefelspitzen
eine halbe Handbreit über den Abgrund hinausragten, und beugte sich vor, um aus angestrengt

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