Das Darwin-Virus
seufzte. »Dann komm wieder mit in mein Büro und lass uns weiter reden.«
Der Korridor vor dem Büro war menschenleer, die Türen an beiden Enden waren geschlossen. Mit ausholender Geste erklärte Dicken: »Ich habe Ben auf meiner Seite. Er hält es für einen sehr bedeutsamen Vorgang, nicht nur für eine Krankheit.«
»Will er sich denn gegen Augustine stellen? Unsere ganze Finanzierung wird mit der Suche nach einer Therapie begründet, Christopher! Wie soll man eine Therapie finden, wenn es keine Krankheit ist? Die Menschen sind unglücklich, die Menschen sind krank, und sie glauben, dass sie ihre Babys verlieren.«
»Diese abgestoßenen Feten sind keine Babys , Marian.«
»Was um alles in der Welt sind sie dann? Ich muss von dem ausgehen, was ich weiß, Christopher. Wenn wir völlig theoretisch werden …«
»Ich bohre weiter«, sagte Dicken. »Ich möchte wissen, was du denkst.«
Marian stand hinter ihrem Schreibtisch, legte die Hände auf die Resopalplatte und trommelte mit ihren kurzen Fingernägeln dagegen. Sie sah aufgebracht aus. »Ich bin Genetikerin und Molekularbiologin. Ansonsten habe ich keine Ahnung. Ich brauche jeden Abend fünf Stunden, um nur ein Hundertstel von dem zu lesen, was ich auf meinem eigenen Gebiet eigentlich wissen müsste.«
»Hast du dich schon mal bei MedWeb eingeloggt? Bei Bionet?
Virion?«
»Ich bin nicht viel im Netz, außer um meine Mails zu lesen.«
»Virion ist ein kleines, inoffizielles Netzmagazin aus Palo Alto.
Nur Privatabonnenten. Es wird von Kiril Maddox betreut.«
»Ich weiß. Ich hatte in Stanford mal was mit Kiril.«
Dicken zuckte zusammen. »Das wusste ich nicht.«
»Erzähl’ es bitte nicht weiter! Er war schon damals ein hochintelligenter, revolutionärer kleiner Scheißer.«
»Großes Pfadfinderehrenwort. Aber du solltest es dir mal ansehen. Dreißig anonyme Beiträge. Kiril versichert mir, es seien alles seriöse Wissenschaftler. Und der Wirbel dreht sich nicht um Krankheit oder Therapie.«
»Ja, und wenn sie an die Öffentlichkeit gehen, komme ich mit und gehe mit dir zu Augustine ins Büro.«
»Versprochen?«
»Niemals! Ich bin keine schlaue Forscherin, und ich habe keinen internationalen Ruf zu verteidigen. Ich bin so eine Art Fließbandmalocherin mit Spliss in den Haaren und einem beschissenen Sexualleben, aber ich liebe meine Arbeit und will meinen Job behalten.«
Dicken kratzte sich im Nacken. »Es liegt etwas in der Luft. Etwas richtig Großes. Wenn ich es Augustine sage, brauche ich eine Liste von Leuten, die hinter mir stehen.«
»Du meinst, wenn du ihm den Kopf zurechtrücken willst. Er wird dir einen Tritt geben, dass du aus den CDC fliegst.«
»Das glaube ich nicht. Ich hoffe es nicht.« Dann fragte Dicken mit argwöhnischem Zwinkern: »Woher weißt du das eigentlich?
Hattest du mit Augustine auch mal was?«
»Er war Medizinstudent«, sagte Freedman. »Und um Medizinstudenten habe ich immer einen großen Bogen gemacht.«
»Jessies Puma« lag ein halbes Stockwerk unter dem Straßenniveau.
Davor befanden sich eine kleine Leuchtreklame, ein Schild aus Holzimitat und ein poliertes Messinggeländer. In dem langen, schmalen Gastraum servierte ein stämmiger Mann in Pseudosmoking und schwarzer Hose an winzigen Holztischen Bier und Wein. Sieben oder acht nackte Frauen bemühten sich nacheinander, auf der kleinen Bühne zu tanzen, allerdings ohne allzu großen Enthusiasmus.
Einem kleinen, handgeschriebenen Zettel auf einem Notenständer war zu entnehmen, dass der Puma diese Woche krank war –
Jessie würde also nicht auftreten. Fotos der abgehärmten Katze und ihrer aufgetakelten, lächelnden blonden Herrin zierten die Wand hinter der kleinen Bar.
Der Raum war eng – in der Breite maß er nur knapp drei Meter – und voller Rauch. Schon als Dicken sich setzte, fühlte er sich unwohl. Er blickte sich auf der Zuschauerseite um und sah Zweier- oder Dreiergruppen von älteren Männern im Anzug und junge Männer in Jeans – alle allein, alles Weiße, alle mit kleinen Biergläsern, an denen sie sich festhielten.
Ein Mann Ende vierzig ging zu einer Tänzerin, die gerade von der Bühne kam, flüsterte ihr etwas zu, und sie nickte. Dann zog er sich mit seinen Begleitern zur Privatunterhaltung in ein Hinterzimmer zurück.
Dicken hatte höchstens ein paar Stunden im Monat für sich.
Zufällig hatte er heute Abend frei – keine gesellschaftlichen Verpflichtungen und keine Bleibe außer einem kleinen Zimmer im Holiday Inn. Also war er,
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