Das doppelte Lottchen
gescheit sind wie der Peperl!‹
Der Herr Kapellmeister und seine Tochter sind, mit den Geschenken der Stammgäste, dem Koffer, der Puppe und der Badetasche beladen, zu Haus in der Rotenturmstraße eingetroffen.
Und Resi, Palffys Haushälterin, hat sich vor Wiedersehensfreude gar nicht zu fassen gewußt.
Aber Lotte weiß von Luise, daß Resi eine falsche Blunzen und ihr Getue Theater ist. Vati merkt natürlich nichts. Männer merken nie etwas.
Er fischt ein Billett aus der Brieftasche, gibt es der Tochter und sagt: »Heute abend dirigier’ ich Humperdincks ›Hänsel und Gretel‹. Resi bringt dich ins Theater und holt dich nach Schluß wieder ab.«
»Oh!« Lotte strahlt. »Kann ich dich von meinem Platz aus sehen?«
»Freilich.«
»Und guckst du manchmal zu mir hin?«
»Na selbstverständlich!«
»Und darf ich ein bißchen winken, wenn du guckst?«
»Ich werd’ sogar zurückwinken, Luiserl!«
Dann klingelt das Telefon. Am anderen Ende redet eine weibliche Stimme. Der Vater antwortet ziemlich einsilbig. Aber wie er den Hörer aufgelegt hat, hat er es dann doch ziemlich eilig. Er muß noch ein paar Stunden allein sein, ja, und komponieren. Denn schließlich ist er nicht nur Kapellmeister, sondern auch Komponist.
Und komponieren kann er nun einmal nicht zu Hause. Nein, dafür hat er sein Atelier in der Ringstraße. Also…
»Morgen mittag auf Wiedersehen im ›Imperial‹!«
»Und ich darf dir in der Oper zuwinken, Vati?«
»Natürlich, Kind. Warum denn nicht?«
Kuß auf die ernste Kinderstirn! Hut auf den kantigen Künstlerkopf!
Die Tür schlägt zu.
Das kleine Mädchen geht langsam zum Fenster und denkt bekümmert über das Leben nach. Die Mutter darf nicht zu Hause arbeiten. Der Vater kann nicht zu Hause arbeiten. Man hat’s schwer mit den Eltern!
Aber da sie, nicht zuletzt dank der mütterlichen Erziehung, ein resolutes und praktisches Persönchen ist, gibt sie sehr bald das Nachdenken auf, bewaffnet sich mit ihrem Oktavheft und beginnt an Hand von Luises Angaben systematisch, Zimmer für Zimmer die schöne Altwiener Wohnung für sich zu entdecken.
Nachdem sie die Forschungsreise hinter sich hat, setzt sie sich aus alter Gewohnheit an den Küchentisch und rechnet in dem herumliegenden Haushaltsbuch der Reihe nach die Ausgabenspalten durch.
Dabei fällt ihr zweierlei auf. Erstens hat sich Resi, die Haushälterin, auf fast jeder Seite verrechnet. Und zweitens hat sie das jedesmal zu ihren Gunsten getan!
»Ja, was soll denn das heißen?« Resi steht in der Küchentür.
»Ich hab’ in deinem Buch nachgerechnet«, sagt Lotte leise, aber bestimmt.
»Was sind denn das für neue Moden?« fragt Resi böse. »Rechne du in der Schule, wo’s hingehört!«
»Ich werd’ jetzt immer bei dir nachrechnen«, erklärt das Kind sanft und hüpft vom Küchenstuhl. »Wir lernen in der Schule, aber nicht für die Schule, hat die Lehrerin gesagt.« Damit stolziert sie aus der Tür.
Resi starrt verblüfft hinterdrein.
Wertgeschätzte kleinere und größere Leserinnen und Leser! Jetzt wird es, glaube und fürchte ich, allmählich Zeit, daß ich euch ein wenig von Luises und Lottes Eltern berichte, vor allem darüber, wie es seinerzeit zu der Scheidung zwischen ihnen kam. Sollte euch an dieser Stelle des Buchs ein Erwachsener über die Schulter blicken und rufen: »Dieser Mensch! Wie kann er nur, um alles in der Welt, solche Sachen den Kindern erzählen!« dann lest ihm, bitte, das Folgende vor: »Als Shirley Temple ein kleines Mädchen von sieben, acht Jahren war, war sie doch schon ein auf der ganzen Erde berühmter Filmstar, und die Firmen verdienten viele Millionen Dollars mit ihr.
Wenn Shirley aber mit ihrer Mutter in ein Kino gehen wollte, um sich einen Shirley-Temple-Film anzuschauen, ließ man sie nicht hinein. Sie war noch zu jung. Es war verboten. Sie durfte nur Filme drehen. Das war erlaubt. Dafür war sie alt genug.«
Wenn der Erwachsene, der euch über die Schulter guckt, das Beispiel von Shirley Temple und den Zusammenhang mit Luises und Lottes Eltern und ihrer Scheidung nicht verstanden hat, dann richtet ihm einen schönen Gruß von mir aus, und ich ließe ihm sagen, es gäbe auf der Welt sehr viele geschiedene Eltern, und es gäbe sehr viele Kinder, die darunter litten! Und es gäbe sehr viele andere Kinder, die darunter litten, daß die Eltern sich nicht scheiden ließen!
Wenn man aber den Kindern zumutete, unter diesen Zuständen zu leiden, dann sei es doch wohl allzu zartfühlend und
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