Das doppelte Lottchen
hängt sie sich bei der anderen ein – wenn sie wenigstens wüßte, wie das sommersprossige Ding mit dem Vornamen heißt! – und läßt sich von ihr, ohne daß die es merkt, zum Laden der Frau Wagenthaler lotsen.
Die Frau Wagenthaler freut sich natürlich, daß Lottchen Körner aus den Ferien zurück ist und so rote Backen gekriegt hat! Als der Einkauf erledigt ist, erhalten die Mädchen je ein Bonbon und außerdem den Auftrag, der Frau Körner und der Frau Habersetzer einen schönen Gruß auszurichten.
Da fällt der Luise ein Stein vom Herzen. Endlich weiß sie, daß die andere die Anni Habersetzer sein muß! (Im Oktavheft steht:
»Anni Habersetzer, ich war dreimal mit ihr böse, sie haut kleinere Kinder, besonders die Ilse Merck, die kleinste in der Klasse.«) Nun, damit kann man schon etwas anfangen!
Beim Abschied vor der Haustür sagt also Luise: »Eh ich es vergesse – Anni –, dreimal war ich mit dir böse wegen der Ilse Merck und so, du weißt schon. Das nächste Mal bin ich nicht bloß bös, sondern…« Dabei macht sie eine eindeutige Handbewegung und rauscht davon.
›Das werden wir ja sehen‹, denkt Anni wütend. ›Gleich morgen werden wir das sehen! Die ist wohl in den Ferien übergeschnappt?‹
Luise kocht. Sie hat eine Schürze von Mutti umgebunden und rennt zwischen dem Gasherd, wo Töpfe über den Flammen stehen, und dem Tisch, auf dem das Kochbuch aufgeschlagen liegt, wie ein Kreisel hin und her. Dauernd hebt sie die Topfdeckel hoch. Wenn kochendes Wasser zischend überläuft, zuckt sie zusammen. Wieviel Salz sollte ins Nudelwasser? »Ein halber Eßlöffel!« Wieviel Selleriesalz? »Eine Prise!« Wieviel, um alles in der Welt, ist eine Prise? Und dann: »Muskatnuß reiben!« Wo steckt die Muskatnuß?
Wo das Reibeisen?
Das kleine Mädchen wühlt in Schubfächern, klettert auf Stühle, schaut in alle Behältnisse, starrt auf die Uhr an der Wand, springt vom Stuhl herunter, ergreift eine Gabel, hebt einen Deckel auf, verbrennt sich die Finger, quiekt, sticht mit der Gabel in dem Rindfleisch herum – nein, es ist noch nicht weich!
Mit der Gabel in der Hand bleibt sie wie angewurzelt stehen.
Was wollte sie eben noch suchen? Ach richtig! Die Muskatnuß und das Reibeisen! Nanu, was liegt denn da friedlich neben dem Kochbuch? Das Suppengrün! Herrje, das muß noch geputzt und in die Bouillon getan werden! Also, Gabel weg, Messer her! Ob das Fleisch jetzt gar ist? Und wo sind die Reibnuß und das Muskateisen?
Quatsch, das Reibeisen und die Muskatnuß! Suppengrün muß man erst unter der Wasserleitung waschen. Und die Möhre muß geschabt werden. Au, man darf sich dabei natürlich nicht in den Finger schneiden! Und wenn das Fleisch weich ist, muß man es aus dem Topf herausnehmen. Und um später die Knochen abzuschöpfen, braucht man ein Sieb! Und in einer halben Stunde kommt Mutti!
Und zwanzig Minuten vorher muß man die Nudeln in kochendes Wasser werfen! Und wie es in der Küche aussieht! Und die Muskatnuß! Und das Sieb! Und das Reibeisen! Und… Und… Und…
Luise sinkt auf einem Küchenstuhl zusammen. Ach, Lottchen! Es ist nicht leicht, deine Schwester zu sein! Hotel Imperial… Hofrat Strobl… Peperl… Herr Franz… Und Vati… Vati… Vati…
Und die Uhr tickt.
In neunundzwanzig Minuten kommt Mutti! – In achtundzwanzig und einer halben Minute! – In achtundzwanzig! Luise ballt vor Entschlossenheit die Fäuste und erhebt sich zu neuen Taten. Dabei knurrt sie: »Das war’ doch gelacht!«
Doch mit dem Kochen ist das eine eigene Sache.
Entschlossenheit genügt vielleicht, um von einem hohen Turm zu springen. Aber um Nudeln mit Rindfleisch zu kochen, dazu braucht’s mehr als Willenskraft.
Und als Frau Körner, müde von des Tages Unrast, heimkehrt, findet sie kein lächelndes Hausmütterchen vor, bewahre, sondern ein völlig erschöpftes Häufchen Unglück, ein leicht beschädigtes, verwirrtes, zerknittertes Etwas, aus dessen zum Weinen verzogenem Mund es ihr entgegenklingt: »Schimpf nicht, Mutti! Ich glaub’, ich kann nicht mehr kochen!«
»Aber, Lottchen, Kochen verlernt man doch nicht!« ruft die Mutter verwundert.
Doch zum Wundern ist wenig Zeit. Es gilt Kindertränen zu trocknen, Bouillon abzuschmecken, zerkochtes Fleisch hineinzuwerfen, Teller und Bestecke aus dem Schrank zu holen und vieles mehr.
Als sie endlich im Wohnzimmer unter der Lampe sitzen und Nudelsuppe löffeln, meint die Mutter tröstend: »Es schmeckt doch eigentlich sehr gut, nicht?«
»Ja?« Ein
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