Das Dunkle Muster
interviewen, und nicht, um mich interviewen zu lassen. Warum stellen Sie die Frage, welche Haltung die Männer ihren Frauen gegenüber einnehmen, nicht unseren weiblichen Mitbürgern? Sind Sie nun hierher gekommen, um einen Suffragetten-Kreuzzug anzuzetteln oder dabei mitzuhelfen, ein Luftschiff zu bauen und es – entschuldigen Sie das Wort – zu bemannen?«
»Wollen Sie mich verarschen?«
»Das würde mir nicht im Traum einfüllen«, versicherte Ihr Reporter hastig. »Wir sind ziemlich modern eingestellt hier, auch wenn die Leute aus dem späten zwanzigsten Jahrhundert hier nur recht dünn gesät sind. Der ganze Staat hat sich der Konstruktion eines Luftschiffes verschrieben. Um dieses Ziel zu erreichen, ist während der Arbeitszeit eine strikte Disziplin vonnöten. Aber was ein Bürger während seiner Freizeit tut, ist natürlich seine eigene Sache, solange er damit keinen anderen stört. Also lassen Sie uns allmählich zur Sache kommen. Was ist eine Miz?«
»Sie meinen es wirklich ernst?«
»Das würde ich auf einen ganzen Stapel von Bibeln schwören, wenn es einen gäbe.«
»Kurz gesagt, es ist eine Anrede, die die Mitglieder der Frauenbefreiungsbewegung während der sechziger Jahre für sich in Anspruch nahmen. Miß und Mrs. waren für sie ein zu offensichtlicher Hinweis auf ihren Stand. Für einen Mann war eine Miß jemand, der unverheiratet war, was automatisch jede – bewußt oder unbewußt – der männlichen Verachtung aussetzte, die das heiratsfähige Alter hinter sich hatte. Der Begriff Miß implizierte, daß mit einer solchen Frau etwas nicht stimmen konnte und sie sich beinahe zu Tode danach sehnte, eine Mrs. zu werden. Diese wiederum war, bar einer eigenen Identität, allerdings nichts anderes als ein Anhängsel ihres Mannes, ein Bürger zweiter Klasse. Warum sollte ein Fräulein also auch noch mit dem Namen ihres Vaters angesprochen werden? Warum nicht mit dem ihrer Mutter?«
»Im letzteren Fall«, erwiderte Ihr schlagfertiger Berichterstatter, »würde ihr Name doch auch der eines Mannes sein: der des Vaters ihrer Mutter.«
»Genau. Deswegen habe ich meinen Namen von Johnetta Georgetta Redd – Sie sehen, daß meine beiden sogenannten Taufnamen nichts anderes sind als Feminisationen männlicher Namen – in Jill Gulbirra. Meinen Vater hat beinahe der Schlag getroffen, und auch meine Mutter meldete starken Protest an – aber sie war halt eine typische Tante Martha. Gehirnwäsche.«
»Interessant«, sagte Mr. Bligh. »Aber Gulbirra? Was ist das für ein Name? Slawisch? Wie sind Sie gerade auf ihn gekommen?«
»Es ist ein Wort der australischen Ureinwohner, Sie Armleuchter. Ein Gulbirra ist ein Känguru, das Hunde tötet und sie auffrißt.«
»Ein fleischfressendes Känguru? Ich dachte, die seien alle Vegetarier.«
»Na ja, möglicherweise hat es nie existiert. Aber die Ureinwohner behaupteten stets, daß es sie gebe. Es mag natürlich ein Fabeltier gewesen sein, aber ist das ein Unterschied? Es ist schließlich der Symbolismus, der zählt.«
An dieser Stelle lächelte Miz Gulbirra so teuflisch, daß sich Ihr sprachloser Korrespondent genötigt fühlte, sich einen Schluck Mut aus der Flasche, die er stets in seiner Umhängetasche mit sich führt, anzutrinken.
»Ich habe mir den Namen nicht etwa deswegen ausgesucht«, sagte die Miz, »weil ich mich mit der Kultur der schwarzen Australier identifiziere oder mit ihr sympathisiere. Ich bin zwar zu einem Viertel eine der ihren, aber was soll’s? Auch sie war eine männlich-chauvinistische Kultur, in der die Frauen lediglich Objekte oder Subjekte der Sklaverei abgaben. Sie taten die ganze Arbeit und wurden zum Dank dafür noch von ihren Vätern und Ehemännern verprügelt. Eine ganze Menge weißer Naturapostel hat Krokodilstränen darüber vergossen, daß die Kultur der schwarzen Australier allmählich im Nichts versank; ich persönlich habe das immer für eine gute Sache gehalten, womit ich natürlich nicht die Leiden mit einbeziehe, die mit dieser Vernichtung Hand in Hand gingen.«
»Der Jammer, wird – im Gegensatz zur Defloration – in der Regel schmerzlos empfunden«, sagte Mr. Bligh.
»Jungfräulichkeit! Auch das ist eine männliche Mythe, die nur erfunden wurde, um das männliche Ego zu erhöhen und seine Ansichten über seine Besitzrechte zu stützen«, erwiderte Miz Gulbirra bitter. »Glücklicherweise änderte sich diese Einstellung noch zu meinen Lebzeiten. Aber es laufen noch immer zuviel von diesen Schweinen – fossile
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