Das Dunkle Muster
Flußdrache starke Ähnlichkeit mit dem Ungeheuer aufwies, war es nicht auszuschließen, daß diese Szene das Leben auf der Flußwelt darstellen sollte.
Die Eingänge zu den anderen Räumen waren mit weißen und roten Hornfischgrätenvorhängen verhängt, die bei jeder Berührung leise klimperten. Die Wände waren mit Matten aus gewobenen Schlingpflanzenfasern bedeckt, die Fensterrahmen mit Folien aus Flußdrachendärmen bezogen.
Insgesamt gesehen stellte der Raum – ausgenommen einiger weniger Gegenstände, die man, wie die Azetylenlampen, nicht so oft finden konnte – nichts anderes als eine Variation dessen dar, was man unter dem Begriff >Flußkultur< kannte.
Das Licht der Lampen beleuchtete schwere, in der Luft hängende Tabak- und Marihuanawolken. In einer Ecke spielte auf einem kleinen Podium eine Kapelle und stellte ihre Kunst gegen ein aus Alkohol bestehendes Honorar zur Verfügung und freute sich außerdem, sich nützlich machen zu können. Jill sah, wie die Leute Trommeln schlugen, auf Bambusflöten bliesen, auf einer tönernen Okarina spielten und Harfen, Fiedeln, ein Xylophon, ein Saxophon und eine Trompete erklingen ließen.
Die Musik selbst war Jill unbekannt, aber sie neigte zu der Ansieht, daß sie irgendeine südamerikanisch-indianische Kultur widerspiegelte.
»Wäre diese Party ein reines Teté-á-tete«, sagte Piscator, »könnte ich Ihnen jetzt einen Schluck Tee anbieten, meine Liebe. Aber leider ist mir das nicht möglich, denn mein Gral versorgt mich bedauerlicherweise nur einmal in der Woche mit einem winzigen Päckchen.«
Er hatte sich also noch nicht soweit verändert, daß er die Teezeremonie, die alle Japaner liebten, vergessen hatte. Jill bedauerte den Mangel an Tee ebenso. Wie die meisten Angehörigen ihrer Nation hatte auch sie den Eindruck, daß das Leben nicht vollständig war, wenn zur üblichen Zeit der Tee nicht serviert wurde.
Piscator tauchte ein Trinkgefäß in eine große Glasschüssel, füllte es mit Birnenblütenschnaps und reichte es ihr. Während Piscator ihr erzählte, wie sehr es ihn freute, daß sie gekommen war, nahm sie mehrere Schlucke. Die Worte ihres Gastgebers klangen ehrlich. Jill stellte plötzlich fest, daß sie ihn zu schätzen begann, obwohl er Angehöriger eines Kulturkreises war, in dem die Frauen nichts anderes als Lustobjekte und Arbeitstiere gewesen waren. Schließlich kam es soweit, daß sie sich selbst warnen mußte – zum zehntausendsten Male? –, daß es falsch war, in die gleichen Ansichten zu verfallen wie die anderen. Man mußte, bevor man ein Urteil aussprach, zunächst einmal Fakten sammeln und sich informieren.
Ihr Gastgeber führte sie herum und stellte sie kurz den anderen Gästen vor. Firebrass winkte Jill aus einer Ecke her zu. Cyrano lächelte dünn und deutete eine Verbeugung an. Sie waren einander seit jenem ersten Morgen schon mehrere Male begegnet, und beide waren sie – wenngleich freundlich – doch zurückhaltend gewesen. Jill behagte die momentane Situation nicht, aber immerhin hatte Cyrano sich bei ihr entschuldigt, und sie war mehr als neugierig, wie sich ihr Verhältnis zu diesem strahlenden Mann aus dem siebzehnten Jahrhundert weiterentwickeln würde.
Sie begrüßte kurz Ezekiel Hardy und David Schwartz, die sie beide jeden Tag in den Hangarbüros oder den nahe gelegenen Fabriken sah. Hardy und Schwartz schienen nette Kerle zu sein; sie schienen inzwischen begriffen zu haben, daß sie ihnen, was den Luftschiffbau anbetraf, weit überlegen war. Und nicht nur auf diesem Gebiet. Jill hatte ihre Ungeduld und Verärgerung über die Ignoranz und die Überlegenheitsgefühle der Männer bisher im Zaum halten müssen, aber sie wußte nicht, wie lange sie das noch durchhalten konnte, ohne gegen ihre eigenen Prinzipien zu verstoßen. Immerhin hatte sich ihr Verhalten bisher durchaus ausgezahlt.
»Halt dich nicht zu weit zurück!« sagte sie sich. »Zeig ihnen, was du kannst!«
Wie oft hatte sie das getan oder es zumindest versucht? Sehr oft hatte es Wirkung gezeigt, wenn auch nicht immer. Doch hier war sie auf diesen Japaner Ohara gestoßen, der sich selbst den Namen Piscator zugelegt hatte und – es war fast unglaublich – eingestand, daß Zen ein großer Unfug sei. Nun, kein hundertprozentiger Unfug, aber er hatte zugegeben, daß man es weit überschätzte. Es hatte Jill nicht gerade gutgetan, das zu hören. Dieses Geständnis traf sie genau unterhalb der Gürtellinie ihres Selbstverständnisses; es kränkte sie, und das
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