Das Dunkle Netz Der Rache
schnaubte. »Das Einzige, was sie nicht von dir hat, sind ihre Haare.«
Ed strich mit der Hand über seine beginnende Glatze und grinste. Suzanne drehte den weißen Porzellanbecher zwischen ihren Händen, eine Geste, die er an kalten Morgen wie diesem schon tausend Mal an ihr beobachtet hatte. »Was macht dir in Wahrheit zu schaffen?«
»Der Verkauf des Geschäfts.«
»Hab ich mir gedacht.«
»Ich weiß, dass es vernünftig ist. Wenn der Landverkauf stattfindet wie beabsichtigt, wird das Waldstück der van der Hoevens morgen um diese Zeit für Holzfäller gesperrt sein. Nächste Woche um diese Zeit muss ich mit der Mannschaft fünfzig Meilen bis zum nächsten offenen Waldland fahren. Hundert Meilen zusätzlich jeden Tag. Sechshundert in der Woche. Suze, bei den Treibstoffpreisen …«
»Ich weiß.«
»Ganz zu schweigen von der Erhöhung der Versicherungsprämien, weil wir mit den Transportern so lange Strecken über öffentliche Straßen müssen.«
»Ich weiß.«
»Und dann würden auch die Wartungskosten für die Transporter steigen.«
»Ich weiß.«
»Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie wir bei den steigenden Kosten überleben sollen.« Er blickte hinunter auf das Gewehr in seinem Schoß. Es hatte seinem Vater gehört, ebenso wie das Holzgeschäft. Einen Moment lang verlor er das Zeitgefühl, wusste nicht mehr, ob er sechzig war oder sechzehn. Das Gewehr, die Wälder, der Kaffee, alles gleich. Alles genauso wie zu Zeiten seines Vaters. Seines Großvaters.
»Ich hatte immer gehofft, es würde irgendwie in der Familie bleiben. Vielleicht an Bonnies Jungs gehen. Sie lieben die Wälder.«
Sie nickte. »Stimmt. Andererseits, willst du wirklich, dass sie sechzig Stunden die Woche ihren Hals riskieren, um fünfundzwanzigtausend Dollar im Jahr nach Hause zu bringen?«
Er sah sie überrascht an. »Du hast dich nie beschwert.«
Sie lachte leise. »Ich bin die Tochter eines Holzfällers. Ich wusste, was mich erwartet, als wir geheiratet haben.«
Er stellte seinen Kaffee ab und ergriff ihre Hand. Ihre weiche Haut unter seinem Daumen war ein weiteres helles Licht gegen Zeit und Dunkelheit. »Ich habe gestern die Jungs von der Mannschaft angerufen. Ihnen gesagt, dass ich diesen Winter nicht rausfahre. Das ist die Hölle, wenn man einem Mann sagen muss, dass es nichts mit dem Job wird, mit dem er fest gerechnet hat. Aber wenn ich jetzt an eine der größeren Gesellschaften verkaufe, kriege ich einen guten Preis für die Ausrüstung. Keinen großartigen, nicht bei den Treibstoffpreisen und den niedrigen Zinsen, aber einen vernünftigen. Genug, um uns eine Wohnung in Florida zu kaufen. Zugvögel zu werden. Würde dir das gefallen?«
Er sah zu, wie sie auf dieser Idee herumkaute, sie ausprobierte. »Das wäre schön«, sagte sie schließlich. »Die ganze Zeit in kurzen Ärmeln. Das ganze Jahr gärtnern.«
»Nie mehr dunkle Morgen«, sagte er.
Darüber lächelte sie ein wenig. »Obwohl ich Bonnie und die Jungs vermissen würde. Und Weihnachten im warmen Sonnenschein wäre bestimmt seltsam.« Sie sah ihn scharf an. »Was würdest du dann tun? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du kein Holz fällst.«
Er warf einen kurzen Blick auf das alte Gewehr in seinem Schoß. Das war die Frage, nicht wahr? »Mann oder Junge, ich hole seit vierzig Jahren Holz aus diesen Bergen. Ich weiß nicht, was ich tun werde, wenn ich kein Holzfäller mehr bin. Aber der Wandel ist nicht aufzuhalten, Suze.« Er streichelte wieder mit dem Daumen ihre Hand. »Und wenn wir uns nicht anpassen, bleiben wir auf der Strecke.«
5:30 Uhr
Russ Van Alstyne kam im gefütterten Tarnanzug und leuchtend orangefarbener Weste auf Strümpfen die Treppe herunter. Jeder Stuhl, jedes Sofa und der Tisch im Wohnzimmer waren von penibel gefalteten Vorhängen, schimmernden Stoffbahnen und Chintz bedeckt, die den Raum wie das Atelier eines durchgedrehten Schneiders wirken ließen. Er schob eine gekräuselte Bordüre zur Seite, um sich den neuen Lee Child zu schnappen, den er gestern Abend gelesen hatte, und vernahm dabei das trockene Rascheln des Seidenpapiers, das zwischen den Falten lag. Diese Babys würden nicht knittern. Im Gegensatz zu ihm. Als er sich aufrichtete, sah er flüchtig sein Spiegelbild über dem Kaminsims. Ich sehe nicht nach einem halben Jahrhundert aus, dachte er. Oder doch?
Der Duft von Kaffee lockte ihn in die Küche. Selbst in seinen dicken Wollsocken bekam er von dem Boden des zweihundert Jahre alten Farmhauses kalte Füße. Er stieg
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