Das Echo aller Furcht
Wasser, das läßt tief blicken. Kein Wunder, daß Al Trent so viel von Ihnen hält.« Jack hatte den Intelligence Star, die höchste Auszeichnung der CIA für Leistungen im Feld, sogar dreimal verliehen bekommen, aber die Urkunde für den dritten Stern lag in einem Tresor und war so geheim, daß selbst der Präsident sie nicht kannte und auch nie zu sehen bekommen würde. »Also werden Sie Ihrem Ruf gerecht und reden Sie.«
»Er ist der seltene Typ, der im Chaos erfolgreich agiert. Ich kenne Ärzte, die so sind, Unfallchirurgen zum Beispiel, die noch immer seelenruhig in der Notaufnahme arbeiten, wenn alle anderen Kollegen schon längst ausgebrannt sind. Manche Menschen genießen Druck und Streß, Arnie, und Narmonow gehört dazu. Er muß eine Konstitution wie ein Pferd haben ...«
»Das trifft auf die meisten Politiker zu«, merkte van Damm an.
»Beneidenswert. Wie auch immer, weiß Narmonow, wo es langgeht? Ja und nein, würde ich sagen. Er hat eine Ahnung, wo er sein Land hinsteuern will, aber wie er ans Ziel kommt und was er dann anfängt, weiß er nicht. Der Mann hat Mut.«
»Sie mögen ihn also.« Das war keine Frage.
»Er hatte die Möglichkeit, mich so einfach, wie ich gerade die Dose aufgemacht habe, umzubringen, ließ es aber bleiben«, gab Ryan lächelnd zu. »Das nötigt mir einige Sympathie ab. Nur ein Narr könnte den Mann nicht bewundern. Selbst wenn wir noch Feinde wären, verdiente er Respekt.«
»Aha, wir sind also keine Feinde mehr?« Alden grinste ironisch.
»Wie könnten wir Gegner sein?« fragte Jack mit gespielter Überraschung. »Sagte der Präsident nicht, das gehöre der Vergangenheit an?«
Der Stabschef grunzte. »Politiker reden viel. Dafür werden sie bezahlt. Wird Narmonow es schaffen?«
Ryan schaute angewidert aus dem Fenster und ärgerte sich, daß er die Frage nicht beantworten konnte. »Betrachten wir es einmal so: Andrej Tl’itsch muß der taktisch ausgekochteste Politiker sein, den das Land je hatte. Aber er vollführt einen Drahtseilakt. Gewiß, er hat mehr Format als alle anderen, aber erinnern Sie sich noch an die Zeit von Karl Wallenda, dem weltbesten Seiltänzer? Der Mann endete platt auf dem Gehsteig, weil er einen schlechten Tag hatte in seinem Beruf, in dem man sich keinen Schnitzer leisten kann. Auch Andrej Il’itsch gehört in diese Kategorie. Schafft er es? Das fragt man sich schon seit acht Jahren. Ja, glauben wir – oder ich – aber ... tja, das ist eine Terra incognita, die wir noch nie betreten haben, und er auch nicht. Jeder Meteorologe kann bei seiner Vorhersage auf eine Datenbasis zurückgreifen. Unsere beiden besten Spezialisten für russische Geschichte haben im Augenblick vollkommen entgegengesetzte Meinungen. Das sind Jake Kantrowitz von der Uni Princeton und Derek Andrews an der Hochschule Berkeley. Gerade vor zwei Wochen hatten wir sie beide in der Zentrale in Langley. Ich persönlich neige zu Jakes Einschätzung, aber die leitenden Analytiker der UdSSR-Abteilung geben Andrews recht. Und da stehen wir. Wenn Ihnen der Sinn nach dogmatischen Auslassungen ist, schauen Sie in die Presse.«
Van Damm knurrte. »Wie sieht die nächste Krise aus?«
»Der Knackpunkt ist die Nationalitätenfrage«, sagte Jack. »Wie wird die Sowjetunion zerfallen – welche Republiken werden sie verlassen –, wann und wie, friedlich oder mit Gewalt? Dieses Problem, mit dem Narmonow täglich zu tun hat, bleibt.«
»Das predige ich schon seit einem Jahr. Wann wird sich eine neue Ordnung abzeichnen?«
»Moment, ich bin derjenige, der sagte, Ostdeutschland bräuchte ein Jahr Übergangszeit. Ich war damals der größte Optimist in Washington und lag um elf Monate falsch. Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist wilde Spekulation.«
»Wo schwelt es sonst noch?« fragte van Damm.
»Im Nahen Osten, wie üblich.« Ryan sah die Augen des Stabschefs aufleuchten.
»Dort planen wir bald eine Initiative.«
»Viel Glück«, meinte Ryan sarkastisch. »Daran basteln wir schon seit 1973 unter Nixon und Kissinger herum. Die Lage hat sich zwar etwas abgekühlt, aber die grundlegenden Probleme existieren nach wie vor, und früher oder später wird es dort wieder losgehen. Positiv ist, daß Narmonow sich nicht einmischen will. Mag sein, daß er seine alten Verbündeten unterstützen muß – der Waffenhandel ist für ihn ein Dukatenesel –, aber wenn es zu einem Konflikt kommt, wird er, anders als seine Vorgänger, keinen Druck ausüben – siehe den Krieg am Golf. Denkbar,
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