Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brigade Dirlewanger

Brigade Dirlewanger

Titel: Brigade Dirlewanger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
Die Baracken ducken sich stumm in der Kälte. Auf den Dächern liegt ein Meter Schnee. Die Gegend wirkt endlos und verlassen. Gottverlassen. Durch das Waldlager geistert die Unruhe. Es ist Februar 1943, und das Hauptquartier des Sonderkommandos Dirlewanger liegt in Lahuisk bei Minsk. Die B(ewährungs)-Soldaten sind gerade dabei, sich im Mittelabschnitt der Ostfront bei Freund und Feind einen eindeutigen Ruf zu erwerben.
    Die Baracke links ist trostlos, wenn auch geheizt. Der Stubenälteste hat Urlaub vom Fallbeil. Er heißt Petrat, stammt aus Ostpreußen und ist von Beruf Dirnenmörder. Als schwerster Junge der Baracke wurde er zugleich zum beliebtesten B-Soldaten des ersten Zugs. Bei Vorgesetzten bloß. Petrat ist verschlagen wie ein Fuchs und gefährlich wie eine Sandviper. Er betrachtet mit tückischen Augen Kordt, den Jüngsten. Der verkrachte Student schiebt ihm gleich freiwillig seinen Schnaps zu.
    Petrat nickt und grunzt.
    »Und wo bleib' ich, Doktor?« fragt Kortetzky, der Gorilla.
    »Das nächste Mal«, erwidert der kleine Kordt erschrocken.
    »Merk' ich mir, Doktor«, brummelt der Gorilla verärgert, »verlaß dich drauf …«
    Mit seiner fliehenden Stirn, den wulstigen Lippen, dem zu wuchtigen Kinn und den winzigen Augen wirkt Kortetzky tatsächlich wie ein Menschenaffe. Dabei gilt er als harmlos, fast gutmütig. Mit acht Jahren Zuchthaus wegen Einbruchs im Rückfall steht er auch in der Rangliste des Dirlewanger-Haufens ganz hinten.
    Die Männer tragen SS-Uniform ohne Kragenspiegel, ohne Rangabzeichen, ohne Schulterstücke, selbst ohne das Emblem des Totenkopfes. Ihre Verpflegung ist erbärmlich. Die Klamotten auf dem Leib sind kaum mehr als Lumpen. Ihr Ersatztruppenteil ist das Zuchthaus. Drei an einem Tisch haben zusammen mindestens zwanzig Jahre Knast hinter sich, und das ist erst die Hälfte. Der Rest wurde zur Bewährung ausgesetzt. Viele sehnen sich nach der Strafanstalt zurück. Jeder Einsatz bedeutet Mord, jede Weigerung, an ihm teilzunehmen, Selbstmord …
    »Such dir's aus«, sagt Kirchwein, der Epileptiker. Er ist blaß und mickrig. Jeder weiß, daß er längst auf der Abschussliste steht. Fast vor jedem Einsatz bricht er zusammen, Schaum vor dem Mund, Verrenkungen in den Gliedern. Die Chefs werten die Anfälle als Feigheit vor dem Feind.
    »Weiß nicht, was ihr wollt«, lacht der Stubenälteste Petrat, »ist doch prima, so 'ne Aktion … was zum Saufen, was zum Fressen …«
    »Wenn uns die Partisanen erwischen, legen sie uns um«, erwidert Kordt.
    »Wär' schade um dich, Doktor …« Der Gorilla klopft ihm derb auf die Schulter.
    Links von ihm sitzt Fleischmann, vor ein paar Wochen noch SS-Hauptsturmführer, jetzt degradiert zum Schützen Arsch, etwas mit Frauen, Zigeunerinnen oder Jüdinnen, munkelt man. Aumeier, der bullige Oberbayer, liegt schon auf dem Strohsack. Er hat leicht schlafen. Als bestrafter Schwarzschlächter hat er hier eine Lebensversicherung als Metzger; solange kein Rivale auftaucht, gehört er zum persönlichen Troß des Sturmbannführers und weiß damit am Morgen, daß er den Abend überlebt. Bis auf weiteres.
    »Auf jedem Baum ein sibirischer Scharfschütze«, sagt Kordt, »wie wir da vorbeikommen …«
    »Die Hälfte wird draufgehen«, stellt der Gorilla sachlich fest.
    Kirchwein betrachtet ihn starr. Sein Gesicht wird grün. Einen Moment fürchten die anderen, daß der nächste Epilepsieanfall kommt.
    »Und für was«, ruft der kleine, rundliche Müller plötzlich, »für was verrecken wir?« Er springt auf. »Damit der …«, er deutet über die Schulter, Richtung Schloß, »weitersäuft und rumhurt!«
    »Halt's Maul!« versetzt Petrat.
    Er müßte den Mann melden. Aber das verstößt gegen den Kodex der Kriminellen. Was er nicht macht, besorgt ein anderer. Jeder gegen jeden, oft weniger aus Gemeinheit als aus Selbsterhaltungstrieb. Horchgeräte nennt man die Spione Dirlewangers.
    »Wir können ja verrecken … und er hockt hinten bei seinem Harem!« Der kleine Mann – früher Buchhalter einer Metallfabrik, Familienvater, Pferdewetten, Griff in die Kasse, hunderttausend Mark, vier Jahre Gefängnis – wird mit der Erregung nicht fertig. »Aber dieser Krieg geht zu Ende«, schreit er, »das sag' ich euch … Und dann hängen die diesen Dirlewanger auf! So hoch sie können!«
    Keiner sagt ein Wort, jeder betrachtet den anderen. Wer wird den rundlichen Müller denunzieren? Wer wird ihn ausliefern? Wenn es keiner tut, sind sie alle dran, falls es doch

Weitere Kostenlose Bücher