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Das Ei und ich

Das Ei und ich

Titel: Das Ei und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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mit Schellengeläute, das wie klirrendes Glas klang, und mit schnaubenden Pferden, und unsere nimmersatten Augen, die zusammen mit der Nasenspitze gerade noch aus den vielen Kleiderhüllen hervorlugten.
    Wenn Cleve und ich uns herumbalgten, wer den größten Apfel oder die meiste Schokolade oder, worum Kinder sich sonst balgen mögen, bekäme, pflegte Gammy sich mit verschränkten Armen aufzustellen und zu rufen: »Cleve, hol das Beil und mach ihr den Garaus. Früher oder später tust du’s bestimmt, also warum jetzt nicht gleich?« Das versetzte uns jedesmal dermaßen in Empörung, daß wir sofort zu balgen aufhörten und uns blendend vertrugen, nur um Gammy zu zeigen, daß sie auf dem Holzweg sei. Vermutlich war es ihre Absicht, diese Reaktion bei uns zu erzeugen, aber damals fand ich die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich ihrer kleinen Namensschwester entledigen wollte, unglaublich.
    Als ich in die zweite Klasse ging, kam meine Schwester Darsie zur Welt. Sie war ziemlich schmächtig und hatte dunkles Haar. Ebenfalls in der zweiten Klasse geschah es, daß ein kleiner Junge namens Waldo, der neben mir zum Vorlesen vorne vor dem Katheder stehen mußte, in die Hosen machte, und die Lehrerin, eine widerliche Person, die vor lauter Geziertheit alle D wie T aussprach, mich mit erhobener Stimme beschuldigte und vor den neugierigen Augen aller Mitschüler meine Hosen anfaßte, um zu sehen, ob sie trocken seien.
    Mary und ich trugen zur Schule stets weiße Strümpfe und Schuhe mit Lackfersen und weißen Kappen. Mary drehte ihre Strümpfe kurzerhand um und trug sie, die Außenseite nach innen, zwei Tage, was nicht weiter schlimm gewesen wäre, aber sie band es allen Leuten auf die Nase, und ich schämte mich ganz schrecklich. Gammy zog uns Schürzen, die sie »Schüürzen« nannte, an, wenn wir nach der Schule spielten. Gelang es uns, bei der Heimkehr von der Schule ihren Falkenaugen zu entgehen, so stellte sie sich vor die Haustür und rief in langgezogenem Klageton: »Määääädchen, kommt eure Schüürzen holen!« (Wobei das Wort »Schüürzen« uns unheilvoll in den Ohren gellte.) Bei schönem Wetter trieben wir uns bei den Abfallhaufen der Bergwerkschule von Montana herum und suchten nach den kleinen Tonretorten, in denen Goldanalysen gemacht worden waren.
    Gebrauchten wir Kraftausdrücke, und wir gebrauchten sie mit der gleichen Leichtigkeit, mit der wir sie aufschnappten, gab uns Gammy oder auch Mutter »Herz-Medizin« zu schlucken. Das war eine dunkle, gallebitter schmeckende Flüssigkeit, von der erwartet wurde, daß sie unsere Herzen reinige, während sie unsere Zungen zusammenzog. Später erst wurde mir klar, daß es sich um ein Abführmittel handelte, das bestimmt einen doppelten Zweck zu erfüllen hatte. Unbegreiflich blieb uns, daß unsere Dienstmädchen, die bei jeder Gelegenheit Ausdrücke wie »Herr im Himmel« und »Verflucht noch mal« von sich gaben, nie »Herz-Medizin« zu schlucken bekamen, während wir armen, unschuldigen Würmchen ungefähr eine Flasche in der Woche verbrauchten.
    Unsere Dienstmädchen waren Irinnen von echtem Schrot und Korn, die kleine Kinder nicht ausstehen konnten, schon gar nicht, wenn sie rotes Haar hatten. Sie schimpften und schrien Zetermordio, sobald wir nur die Nasenspitzen in die Küche steckten. Seltsamerweise hatten sie aber auch weichere Seiten; zum Beispiel Mary, die Mutter eines Tages dabei überraschte, wie sie den Eierkuchenteig mit heißen Tränen netzte. »Was ist denn geschehen?« fragte Mutter, überzeugt, nun von einem Mann zu hören. »Jesus Gott, Mrs. Bard«, kam die Antwort, »ich kann die verdammten Dinger nicht rund kriegen«, und sie zeigte heulend auf einen Haufen länglicher und ovaler Eierkuchen, die sie in den Ausguß geworfen hatte.
    In Butte gab es keine zarten Blütenknospen, keine Frühlingsblumen oder lockenden, grünen Wiesen. Wir merkten das Nahen des Frühlings nur an den Regenströmen, die in den Rinnsteinen gurgelten. Während eines solchen Wolkenbruchs fand ich einmal eine Fünfdollarnote. Ich dachte, es sei eine Schuhmarke – die sammelte ich nämlich –, buddelte das zerdrückte Papier daher mit der Spitze meines Gummischuhes aus dem Schlamm und brachte es Gammy, die es trockenbügelte und mir erläuterte, daß es ein Fünfdollarschein sei. Ich hatte noch nie Papiergeld zu Gesicht bekommen, da in Butte nur Silber und Gold in Umlauf war, und mein Mißtrauen schwand erst, als Vater mir den Schein in eine Goldmünze umwechselte,

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