Das Ei und ich
hinunter, und von Zeit zu Zeit bevölkerten auch nicht minder malerische Indianer in ihren auffallenden Trachten die Straße und ritten auf Ponys bei Hennessy und dem Hutwunder für hundertfünf Dollar vorüber, gefolgt von ihren Frauen, die mit ihren Sprößlingen auf den Rücken bescheiden hinter den Herren der Schöpfung hertrabten. Es waren Blackfeet-Indianer. Sie trugen besonders schöne, reich mit Perlen verzierte Überwürfe und Lederhosen und wundervollen Federkopfschmuck und hatten lange Nasen und durchdringende, kalte Augen. Gammy hatte uns die aufregenden atemberaubenden Geschichten von Hiawatha, Pocahontas und Sitting Bull vorgelesen und so viele Indianerlegenden erzählt, bei denen es einem kalt über den Rücken lief, weil es von Massakrieren und Spießrutenlaufen nur so darin wimmelte, daß wir die Indianer für sagenumwobene Helden hielten und uns die Beine aus dem Leib rannten, um sie vorüberziehen zu sehen. Meine romantische Vorstellung vom herrlich freien Leben der Rothäute nahm ich natürlich mit mir, als das Schicksal mich auf eine Hühnerfarm verschlug, und es war eine große Enttäuschung für mich, daß die Indianer von heute, oder zumindest die, die am Stillen Ozean hausen, keineswegs mehr die kupferfarbigen, verwegenen Gesellen sind, die lederbehost und federgeschmückt, nur mit Pfeil und Bogen bewaffnet, durch die Wälder streifen und mutig-romantischer Jagd obliegen. Die Indianer, mit denen wir in Berührung kamen, waren arme Burschen von untersetzter Gestalt, die man nie mit Pfeil und Bogen, aber oft mit einem lässig zwischen die Zähne geklemmten Zahnstocher am Steuerrad eines älteren Vehikels sehen konnte. Der Alkohol richtete unter ihnen viel Schaden an.
Die Sommer verbrachten wir für gewöhnlich in den Bergen im Camp. Ein Mann mußte das Camp für uns einrichten, wir schliefen in Zelten und begleiteten Vater bei seinen Inspektionsgängen. Doch manchmal hausten wir auch in Blockhütten am Ufer eines Sees unter Gammys Aufsicht, während Vater und Mutter allein auf Reisen gingen. Während dieser Sommeraufenthalte entstand mein heimlicher Haß und mein Widerwille gegen wilde Tiere. Einmal fanden wir uns unvermittelt einem riesigen Bären gegenüber, der jenseits eines gefällten Baumstammes friedlich Heidelbeeren verzehrte. Ein andermal zeigte Vater uns einen Berglöwen, der auf einem Felsenvorsprung über unseren Häuptern in der Sonne lag. Immer wieder trampelten die Bären unsere Zelte nieder und fraßen uns unsere Vorräte weg, und des Nachts vollführten Kojoten und Wölfe schauerliche Heulkonzerte.
Mutter und Vater fischten leidenschaftlich gern, also hatten wir dreimal täglich Forellen, eine Delikatesse, die wir Kinder bald nicht mehr ausstehen konnten. Manchmal erklärte sich Gammy bereit, bei uns im Camp zu bleiben, aber nur, wenn wir tagsüber nicht in den Bergen herumstreiften. Sie leistete uns Gesellschaft, sooft Vater und Mutter Ausflüge unternahmen, und obwohl die Eltern uns jedesmal großmütig fragten, ob wir nicht mitkommen wollten, verneinten wir standhaft, denn sie liebten Gefahren und fanden nichts dabei, auf schwankenden Baumstämmen schwindelnde Abgründe zu überqueren, in gefährliche, dunkle Bergwerksstollen zu kriechen, in reißenden Bächen zu waten oder ähnliche Heidenstücke zu bestehen. Gammy dagegen ging ängstlich jedem Abenteuer aus dem Wege und lag stets vor im Hinterhalt drohenden Gefahren auf der Lauer.
Manchen Sommertag verbrachten wir mit Gammy in ihrer Holzhütte, Türen und Fenster hermetisch verschlossen vor den Tücken der Gebirgsluft. Wir kuschelten uns zu ihren Füßen eng zusammen, und sie saß im Schaukelstuhl, las uns Geschichten vor und fütterte uns mit Lakritzenbonbons aus ihrer schwarzen Tasche. Zuweilen schreckte uns ein Gewittersturm auf, dann sausten wir Hals über Kopf unter unsere Betten, preßten angstvoll die Kissen an uns und beteten; oder wir machten mit Gammy stets sehr kurz bemessene Spaziergänge und hielten alle paar Schritt an, um klopfenden Herzens die Ohren zu spitzen, ob nirgends eine Klapperschlange nahe. Gammy brachte es fertig, uns zu solchen Angsthasen zu machen, daß wir beim Rascheln eines Blättchens käseweiß wurden und in die Sicherheit unserer Blockhütte flüchteten. Ihre Erzählungen von den furchtbaren Gefahren, die unser im Freien harrten, beeindruckten uns kolossal. Sie warnte uns vor allem, was da kreucht und fleucht, vor Adlern, Falken, Bienen, Fliegen, stechenden Pferdebremsen, Moskitos und
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