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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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keine Noten, es steht nur da, daß wir das Examen bestanden haben.
    Aber ich habe nicht weiter darüber nachgedacht. Ich hatte es sogar total vergessen. Bloß war dann … ach, da war noch etwas, das mir erst heute wieder eingefallen ist.«
    Cathrine stand auf und trat hinter Billy T. Sie beugte sich über ihn und zeigte auf die Zeugnisse.
    »Sehen Sie den Unterschied?«
    Den sah er durchaus. Oben auf dem einen Blatt stand in Fettdruck »Sozialschule der Diakonie«. Darunter stand »Zeugnis über das Examen als Sozialarbeiterin«. Das andere Zeugnis dagegen wies oben ein Symbol auf, einen Kreis, dessen obere Hälfte ein dicker Balken war, während die untere von den Worten »Sozialschule der Diakonie« gebildet wurde. In der Mitte des Kreises befand sich ein Kreuz, das an das Eiserne Kreuz der Nazis erinnerte.
    »Dieses Nazikreuz ist wirklich scheußlich«, kam Cathrine ihm zuvor. »Und wie Sie sehen, steht da ›Ausbildung als Sozialarbeiterin‹, nicht ›Examen‹. Das erste Zeugnis stammt aus 270
    dem Jahr 1990 und gehört einer Freundin. Das andere ist von 1991, das ist meins.«
    Ein knochiger Zeigefinger lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Daten unten auf der Seite.
    »Und das wirklich Seltsame ist«, sagte Cathrine, als sie wieder auf ihrem alten Platz saß, »daß Marens Zeugnis oben dieses Eiserne Kreuz hatte! Aber sie hat immer gesagt, sie hätte 1990
    Examen gemacht. Ich habe heute früh sicherheitshalber Erik gefragt. Er war ein Jahr über ihr, und er war 1989 fertig. Ich habe ja wirklich keine Ahnung, aber …« Jetzt starrte sie ihre auf der Tischplatte gefalteten Hände an. »Ich will ja niemanden in Schwierigkeiten bringen, aber seltsam ist das doch, finden Sie nicht?«
    Billy T. schwieg, nickte aber kurz. Ohne die beiden Zeugnisse aus den Augen zu lassen, fragte er: »Haben Sie Maren nach der Besprechung aus Agnes’ Büro kommen sehen? Oder später?«
    Der Totenkopf dachte nach. »Doch, ich bin ihr kurz auf der Treppe begegnet. Sie sollte mich zu Agnes holen.«
    »Was machte sie für einen Eindruck?«
    »Ach, Eindruck … sie war ein bißchen sauer, ich weiß noch, daß ich gedacht habe, sie hätte sich wieder mal mit Agnes gestritten. Sie haben sich gut verstanden, so war das nicht, aber sie waren oft unterschiedlicher Meinung. Wenn es um die Kinder ging, meine ich. Agnes war strenger, irgendwie altmodischer. Im letzten Jahr wollte Maren mit den Kindern nach Spanien, aber …«
    »Cathrine!«
    Eine verzweifelte und dünne Jungenstimme ertönte oben auf der Treppe. Billy T. erfuhr nicht mehr, was aus Maren Kalsviks Reiseplänen geworden war, denn Cathrine Ruge sprang auf und lief die Treppe hoch. Sie kam erst nach zwanzig Minuten zurück.
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    Agnes hatte Maren also mit ihrem Betrug konfrontiert. Es konnte kein Zufall sein, daß das Zeugnis auf dem Tisch gelegen hatte. Wenn dieses Skelett das gleich beim ersten Verhör gesagt hätte … Am Tag nach dem Mord, zum Henker! Am Tag
    danach! Wer weiß, vielleicht wäre Terje Welbys Leben zu retten gewesen. Und möglicherweise auch das von Olav. Billy T. rang mit seiner Wut. Und dann war das Skelett wieder da.
    »Es geht ihm wirklich schlecht. Kenneth, meine ich. Jetzt hat er sich eingeredet, daß im Keller ein Seeräuber wohnt. Und daß dieser Räuber jeden Abend nach oben kommt, um alle Kinder aufzufressen. Himmel …«
    Ihre Stimme klang schrill, und Billy T. fiel ihr nur deshalb nicht ins Wort, weil er so wütend war, daß er lieber den Mund hielt.
    Cathrine sagte: »Heute hat er vier riesige Messer angeschleppt.
    Anita war mit ihm zum Spielplatz gegangen, um ihn aus der ärgsten Unruhe hier herauszuhalten. Er hatte die Messer zwischen den Steinen gefunden und glaubte, der Seeräuber hätte sie dorthin gelegt, um irgendwann mit ihnen die Kinder zu zerschneiden. Du meine Güte. Es geht ihm wirklich nicht gut.«
    Billy T. schüttelte blitzschnell den Kopf, und seine Wut verflog.
    »Messer? Er hat Messer gefunden?«
    »Ja, vier scheußliche große Messer. Ich habe sie
    weggeworfen.«
    »Wohin?«
    »Wohin?«
    »Wohin haben Sie die Messer geworfen?«
    »In den Müll natürlich.«
    Billy T. sprang so plötzlich auf, daß sein Stuhl umkippte.
    »In welchen Müll? Hier im Haus, oder irgendwo draußen?«
    Cathrine Ruge blickte ihn verständnislos an.
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    »Ich habe sie gut eingewickelt, damit die Mülleute sich nicht daran schneiden, und dann habe ich sie in den Mülleimer gesteckt.«
    Billy T. stürzte in die Küche und riß die Tür unter dem Spülbecken

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