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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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leicht den Kopf.
    »Jetzt sage ich es nicht noch mal«, sagte Hanne gereizt und zog das Buch wieder zurück. Mit einem Knall klappte sie es zu.
    »Es ist schon möglich, daß Sie überlegt haben, ob Sie uns sofort verständigen sollten. Aber das haben Sie bald verworfen.
    Sie wußten, wo der Schreibtischschlüssel lag. Den holten Sie, um in den Schubladen nach kompromittierenden Unterlagen zu suchen. Ich habe keine Ahnung, ob Sie etwas über sich gefunden haben. Aber vermutlich war da etwas über Terje. Das ließen Sie liegen. In der Hoffnung, daß wir es finden würden.«
    Hanne lachte, ein schroffes, kurzes Lachen.
    »Es war kein Wunder, daß Sie wußten, daß Terje nach Ihnen dort gewesen war. Ich hätte mir mehr Gedanken über Ihr Erstaunen machen sollen, als der Schlüssel am Tag nach dem Mord nicht in seinem Versteck lag. Sie hatten ihn schließlich zurückgelegt. Als Terje nicht verhaftet wurde, wußten Sie, daß wir nichts gefunden hatten.«
    Sie tippte sich mit dem linken Zeigefinger an die Stirn.
    Maren Kalsvik saß noch immer wie ein Zombie da, reglos und den Blick auf etwas gerichtet, von dem Hanne Wilhelmsen keine Ahnung hatte. Vermutlich war es nicht von dieser Welt.
    Ihre Augen waren von blassem Stahlgrau, fast unmenschlich, eher wie die eines Hundes oder eines Wolfes. Hanne konnte sich nicht erinnern, ob sie früher von einem tieferen Blau gewesen waren. Andererseits kam ihr jetzt das ganze Büro grau vor.
    Schritte und Stimmen vom Flur, die ihren Monolog in immer größeren Abständen unterbrochen hatten, waren inzwischen ganz verstummt. Große Teile der Abteilung feierten jetzt bei ein paar Bier die Aufklärung des Doppelmordes. Zu Hause kochte 263
    Cecilie wohl gerade Kaffee und hatte alle Entschuldigungen für Hannes Fernbleiben aufgebraucht. Wo Billy T. steckte, war ein Rätsel. Erik und Tone-Marit hatte sie gegen sieben nach Hause geschickt, nachdem der Liebhaber weinend seine
    Scheckbetrügereien eingestanden hatte. Der endlich gefundene Kumpel jedoch hatte den Kaffeeklatsch am Abend des Mordes bestätigt, und das Cafépersonal hatte ihm zögernd, aber doch mit ausreichender Sicherheit zugestimmt. Sie hatten den Liebhaber laufenlassen. Er litt jetzt sicher ganz schrecklich.
    Hanne Wilhelmsen fühlte sich auch nicht gerade obenauf.
    Aber Maren Kalsvik ging es noch viel, viel schlechter. Sie saß ganz still da, sie sagte nichts, sie sah nichts, sie reagierte nicht auf das, was gesagt wurde. Nur auf diese Weise konnte sie an Leben und Wirklichkeit festhalten.
    Irgend etwas in ihr zerbrach in Stücke. Sie hatte das Gefühl, daß ihre Innereien wild durcheinandergeschleudert worden waren. In ihrem Unterleib pochte und hämmerte es, als sei ihr Herz dort unten gelandet. Sie konnte nur mit dem allerobersten Teil ihrer Lunge atmen, er schien in ihren Hals gepreßt worden zu sein, wo für den Rest nicht genug Platz war. In ihrem Kopf gab es nicht einen einzigen Gedanken. Dafür jagten ihr die Gefühle durch den Bauch und wollten wieder nach oben. Beine und Arme waren gefühllos, sie hingen nur da, tot und taub, zu nichts anderem zu gebrauchen, als dazu, alles, was im Rumpf weh tat und preßte, festzuhalten.
    Das einzige, was ihr noch klar bewußt war, war, daß sie überleben mußte. Und sie konnte nur überleben, wenn sie ganz still saß und hoffte, daß das alles vorüberging. Niemand auf der ganzen Welt konnte ihr helfen. Nur sie selbst. Indem sie den Mund hielt. Sie durfte nicht zusammenbrechen. Durfte nicht glauben, Gott habe sich von ihr abgewandt. Sie klammerte sich an einen roten Punkt irgendwo in ihrem Bauch, hielt sich fest, wollte nicht loslassen.
    264
    Zwei Tage nach dem Selbstmord hatte die Post ihr den Abschiedsbrief gebracht. Hastig hatte sie ihn aufgerissen und dabei mit Kaffee bekleckert. Es war ein Brief an sie gewesen.
    » Ich habe Agnes nicht umgebracht « , hatte dort gestanden. Er flehte sie an, ihm zu glauben. Doch da stand noch mehr: » Sei vorsichtig, Maren. Agnes hat gewußt, daß du dein Zeugnis gefälscht hattest. Ich wußte es auch. Sei vorsichtig. Ich habe so viel falsch gemacht. Aber das hast du auch. «
    Sie hatte den Brief verbrannt. Er ging die Polizei nichts an. Er gehörte ihr.
    »Herr Gott«, knurrte es irgendwo in ihrem Magen.
    »Vergib mir. Hilf mir!«
    Hauptkommissarin Hanne Wilhelmsen hatte die Verdächtige lange ihren Gedanken überlassen. Sie wußte eigentlich nicht, worauf sie wartete. Sie war dabei, in Gleichgültigkeit zu versinken aufgrund der

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