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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Nervosität, die sich bei vielen mit Erwartung zu einer Art kindischer Aufregung mischte. Nur bei ihr nicht. Maren Kalsvik war vor Angst wie gelähmt. Der letzte Zug für sie war abgefahren, als sie das Examen nachzuholen versuchte. Sie konnte ein weiteres Schuljahr einfach nicht finanzieren. Aber sie hätte es anhängen sollen. Als sie an einem Sommertag im Jahre 1991 erfuhr, daß sie keine Möglichkeit mehr hatte, je als 275
    Sozialarbeiterin zu arbeiten, empfand sie zunächst nur eine große graue Leere. Ungefähr so wie jetzt. Hundertvierzigtausend Kronen Studiendarlehen, aber kein Examen. Alle Wege waren versperrt. Es gab keine Chance mehr.
    Und dann war alles so einfach gewesen. Ein gestohlenes Zeugnis, eine Flasche Tippex und ein Kopierer. Sie hatte sich nicht getraut, ein Original herzustellen, aber es war erschreckend einfach, eine Kopie anzufertigen und mit einem Stempel »beglaubigte Kopie« und einer unleserlichen Unterschrift zu versehen.
    Es war ein Verbrechen. Aber es war ihre einzige Möglichkeit gewesen.
    Später hatte sie das alles vergessen. Ein seltenes Mal –
    manchmal nachts oder kurz bevor sie ihre Tage bekam oder wenn beides zusammenkam – machte ihr das Bewußtsein, mit einer Lüge zu leben und zu arbeiten, zu schaffen. Aber dann konnte sie nur die Zähne zusammenbeißen, weiterarbeiten, ihre Tüchtigkeit unter Beweis stellen und Gott und sich selbst zeigen, daß sie das Zeugnis verdient hatte. Und dann vergaß sie es wieder. Oft für ganze Monate.
    Bis zu diesem fatalen Tag.
    Plötzlich kamen die beiden wieder herein; sie hörte sie, drehte sich aber nicht um. Der riesige Mann forderte sie auf, sich zu setzen. Auf der Fensterscheibe hatte sich eine unklare Fläche mit beschlagenem Rand abgezeichnet, dort hatte sie ihre Stirn gegen das kalte Glas gepreßt. Gehorsam kehrte sie zu ihrem Stuhl zurück und nahm wieder ihre starre, unbewegliche Haltung ein.
    Der Mann, von dem sie nur den Vornamen kannte, setzte sich in den Sessel der Hauptkommissarin. Die Polizistin ging zum Fenster und berührte die beschlagene Stelle. Beide waren beängstigend schweigsam.
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    Dann fiel ihr Blick auf das Päckchen. Ein längliches, in Zeitungspapier gewickeltes Päckchen, ziemlich schmutzig und mit einem schwachen Geruch von … Müll? Der Polizist ließ es ungeöffnet auf dem Tisch liegen. Er starrte sie an. Und sie konnte einfach nicht wegschauen. Er fing sie ein, sie hatte noch nie dermaßen intensive Augen gesehen, erschreckend, faszinierend und ganz anders als bei ihrer letzten Begegnung. So ungefähr hatte sie sich als Kind, als sie noch glaubte, daß Er sie überall sehen könne, die Augen Gottes vorgestellt.
    »Du hast gelogen, Maren Kalsvik«, sagte er mit einer leisen, tiefen Stimme, die sie noch mehr an Gott erinnerte.
    »Agnes hatte dich mit deinem Betrug konfrontiert. Das können wir beweisen.«
    Ganz still sein, einfach den Mund halten, dröhnte es in ihrem Kopf, während sie verzweifelt merkte, wie ihr Gesicht heiß wurde.
    Sie umklammerte krampfhaft die Armlehnen, und ihre Kiefer knackten. Aber sie schwieg.
    »Wir wissen, daß das Zeugnis am Tag von Agnes’ Ermordung auf ihrem Schreibtisch lag. Seither hat es niemand mehr gesehen. Punkt für uns. Minuspunkt für dich.«
    Plötzlich veränderte er sich. Er lächelte, und seine Augen waren freundlich. Normal.
    »Ich will dich nicht mit Einzelheiten belästigen. Dafür haben wir später noch Zeit genug. Ich möchte dich nur darauf aufmerksam machen, daß wir wissen, daß du lügst. Deshalb haben wir so oft Erfolg. Weil die Leute lügen. Und wenn sie eine Lüge vorbringen, dann wissen wir, daß auch noch andere Lügen möglich sind. So ist das Leben. Und nun haben wir eine kleine Überraschung für dich.«
    Seine großen Hände machten sich vorsichtig an dem
    Zeitungspapier zu schaffen.
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    »Hatte keine Zeit, sie in eine Tüte zu stecken. Deshalb kannst du nur ganz kurz einen Blick darauf werfen. Nur so fürs erste.«
    Das Ohrensausen steigerte sich. Sie schüttelte ein wenig den Kopf, aber das half nichts. Auch nicht gegen das Rotwerden. Sie zwang sich, wenigstens normal zu atmen.
    Doch ihre Lunge wollte nicht mehr. Sie weitete sich gewaltig und fiel dann in sich zusammen. Sie rang nach Atem, und in ihrer Brust wütete ein brennender Schmerz.
    »Vier Messer. Auf einem Spielplatz gefunden. Von einem Kind.«
    Er schmunzelte. Die Hauptkommissarin drehte sich vom Fenster weg, und Maren sah sie an. Hanne Wilhelmsen schien das alles überhaupt

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