Das Elbmonster (German Edition)
bildeten, die mir aus früheren Zeiten durchaus vertraut waren. Mithin hatte ich den Eindruck, als wollte Peter noch etwas Außergewöhnliches, vielleicht sogar ein anhaltend streng behütetes Geheimnis meiner Obhut übertragen, um sein Herz zu erleichtern. Und tatsächlich flüsterte er nach längerem Zögern mit größter Anstrengung drei Worte in mein Ohr. Sie lauteten: „Sohn…Abel…Elbmonster“. Deren Sinn habe ich allerdings nicht begriffen.
Umso mehr hoffte ich beschwörend, er könne einiges hinzufügen, damit ein Zusammenhang entstünde, der mir zumindest eine gewisse Deutung ermöglicht hätte. Aber dazu kam es nicht mehr, denn seine Kräfte waren erschöpft. Schließlich vernahm ich auf seinem Antlitz, das bereits den nahenden Tod spüren ließ, eine besonders ausdrucksstarke Veränderung, die sich auf seinen Lippen unverkennbar zu einem dankbaren Abschiedslächeln formte. Und mir war klar, darin offenbarte sich zugleich der letzte Gruß eines wahrhaft edlen Freundes.
Ich zog leise davon. Doch etwas Rätselhaftes, vorerst noch stark nebulös, blieb in meinem Inneren haften, denn ich konnte mir trotz ernsthaften Grübelns keinen passenden Reim darauf machen, was er mir noch anvertrauen wollte.
Tags darauf war es mit Peter vorbei. Geist und Seele glitten ins Jenseits. Nur seine leibliche Hülle befand sich weiterhin in unserer Nähe, und die sollte uns bald geheimnisumwittert aufhorchen lassen, ein Ereignis, das ich garantiert niemals vergessen werde.
Ungeachtet seines erwarteten Ablebens und der Erlösung vom grauenhaften Leiden wurde seine Witwe, unsere großartige Gefährtin Veronika, mehr denn je von zermürbender Trauer geplagt. Gewiss, ihr blieben die fürsorglichen Kinder und deren ebenso tüchtigen Partner, dazu eine wohltuende Schar von liebenswürdigen Enkeln und nicht zuletzt der vielfach bewährte Freundeskreis. Doch all das zusammen ersetzte nicht jene beflügelnde Energie einer harmonischen Lebensgemeinschaft, die sich fortwährend aus innigster Zuneigung und respektvollem Umgang miteinander nährte.
Zu allem Unglück sollte sich der erste Teil des Abschiedsrätsels, ein unvermutet bizarres Geheimnis meines Freundes Peter, welches er notgedrungen auch mir gegenüber bis zu seinem Tod hinaus bewahrte, schon nach einer Woche lüften. Die wundersame Szene war nicht nur für mich eine handfeste Überraschung. Auf seine Frau und die anderen Familienangehörigen wirkte sie regelrecht schockierend und niederschmetternd.
Was war geschehen?
Die Trauerfeier für den Dahingeschiedenen fand in einem relativ großen Raum statt, der sich zusehends füllte. Unmittelbar vor Beginn der Zeremonie, als die Anwesenden schon Platz genommen hatten, öffnete sich nochmals die Eingangstür. In Begleitung eines jungen Mannes trat eine sichtlich ältere Dame herein. Wir trauten unseren Augen nicht. Die Verwunderung steigerte sich mit jedem Schritt, den die beiden Fremden in Richtung des Verstorbenen machten, weil sie dadurch noch klarer ins Blickfeld rückten. Sie verneigten sich gleichsam im Zeitlupentempo ehrfurchtsvoll vor dem Bildnis und Sarkophag des Entschlafenen. Danach wendeten sie sich ebenso bedächtig zum Publikum, blieben vorne stehen und suchten gezielt nach freien Plätzen. Jetzt befanden sie sich vollends im Sichtbereich aller Teilnehmer. Ein deutliches Raunen belebte den Saal, ausgelöst durch eine gespenstische Szene. Sie hatte den Anschein, als wäre der Tote wieder zum Leben erwacht, heimlich dem Sarg entstiegen und stünde nun um Jahrzehnte verjüngt vor all den Menschen, die um ihn trauern. Ein unsäglich rätselhaftes und daher abgründig beklemmendes Bild, das sämtliche Anwesende sofort in seinen Bann zog, denn es war kein Gespenst, sondern eine reale Person.
Da meiner Frau und mir die Anerkennung zukam, uns in Veronikas Nähe zu setzen, konnte ich direkt beobachten, wie sie infolge der hochgradig überraschenden Situation zusehends kreidebleich und sogar vorübergehend ohnmächtig wurde. Ihre Kinder griffen sofort zu, richteten sie bedachtsam auf und stützten die fassungslose Mutter fortab während der Trauerfeier und später auf dem Weg zur Grabstätte.
Die beiden Unbekannten, offensichtlich Mutter und Sohn, verharrten ziemlich lange an der Stelle, wo sie nach freien Sitzplätzen Ausschau hielten. Einheimische konnten es wohl nicht sein, denn das hätte sich in unserer Kleinstadt längst herumgesprochen. Weil ich jedoch nach Veronikas Bittgesuch die Todesanzeige
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