Das Ende der Welt
bunten Socken, die jeden ansonsten ganz passablen Mann sofort entstellten.
Tabitha verbrachte den halben Abend auf dem Klo, wo sie grauenhaft schlechten Stoff kokste. Angeblich war er mit Pferdewurmkur, Katzentranquilizer oder Hundeaufputschmittel gestreckt, je nachdem, wen man fragte. Das Zeug war in der ganzen Stadt in Umlauf. Ich probierte eine Prise, spürte das Brennen der Chemikalien im Hals und reichte das Pulver sofort weiter.
Später am Abend nahm Tabithas Freund eine andere mit nach Hause. Wie sich herausstellte, war er kein richtiger Freund, sondern nur ein Typ, mit dem sie geschlafen hatte. Das Mädchen, das er mit nach Hause nahm, war jünger als wir, hatte leuchtende Augen, langes, naturblondes Haar und entblößte bei jedem Lächeln eine Reihe von weißen, unbeschädigten Schneidezähnen.
Tabitha war betrunken, hatte zu viel von dem Pferdeentwurmungskokain genommen und weinte hemmungslos. Ich gab Paul meine Nummer für ein andermal und brachte Tabitha nach Hause.
»Ich war so dumm«, heulte sie, als wir die Straße entlangtorkelten, »ein so netter Typ würde sich nie im Leben in mich verlieben!«
Darauf wusste ich nichts zu sagen. Tabitha hatte recht. Sie war vieles, das meiste davon war positiv, aber
nett
war sie nicht. Ich brachte sie nach Hause, half ihr die Treppe hinauf, setzte sie aufs Sofa und ließ sie mit
Ich kämpfe um dich
allein, ihrem Lieblingsfilm. »Leberwurst«, murmelte sie zusammen mit Ingrid Bergman.
Als ich nach Hause kam, hatte Paul schon angerufen. Ich rief zurück. Es war Viertel nach zwei. Wir redeten, bis die Sonne aufging. Wie viele Männer war er nur in Gesellschaft schüchtern, alleine gar nicht mehr. Er hatte die letzten sechs Monate in Haiti verbracht, um von den Trommlern der Bokor zu lernen. Ich kannte mich nicht mit Musik aus, mit ihren technischen Aspekten, aber ich verstand, was es bedeutete, sich einer Sache ganz und gar hinzugeben. Sich ihr mit Haut und Haar zu verschreiben, ohne zu wissen, ob man aufs richtige Pferd gesetzt hat. Über dieses Thema ließ sich mit den wenigsten Menschen reden.
Wir alle wollen ein anderer sein. Und manchmal schaffen wir es, uns selbst davon zu überzeugen.
Aber dieser Zustand ist nie von Dauer. Am Ende kommt immer unser wahres, gebrochenes, vernarbtes Ich zum Vorschein.
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2
D anach waren Paul und ich für ein paar Monate zusammen. Ein halbes Jahr vielleicht. Dann reiste ich für eine Woche nach Peru, um den Fall der Silberperle zu lösen. Ich verlängerte um drei Wochen, um mich zusammen mit einem Mann, den ich in einer Bar in Lima kennengelernt hatte, dem Studium der Kokablätter zu widmen. Ich hätte Paul anrufen oder ihm einen Brief oder eine Mail schreiben oder ihm Rauchzeichen schicken können. Aber ich tat nichts davon. Als ich nach San Francisco zurückkam, war er neu liiert. Es dauerte nicht lang, und ich hatte es ihm gleichgetan.
Eines Abends, ein Jahr nachdem das mit uns, wie immer man es auch nennen wollte, vorbei war, traf ich ihn zufällig im Shanghai Low, einer Bar in der Nähe meiner Wohnung in Chinatown. Paul trug eine alte Lederjacke und neue, dunkelblaue, steife Jeans mit umgekrempeltem Saum. Wir waren beide gekommen, um eine Band zu sehen. Wir tranken Cocktails, im Schneckentempo, während er von seiner letzten Osteuropareise berichtete. Da kam meine Freundin Lydia herein. Ich konnte es in Pauls Gesicht sehen, noch bevor ich mich umdrehte, seinem Blick folgte und sie entdeckte.
»Claire!«
»Lydia!«
Sie setzte sich zu uns und bestellte einen Drink. Lydia war eigentlich keine Freundin, sondern nur eine Frau, die ich zufällig kannte. Eine Bekannte. Sie war mit meinem Freund Eli befreundet, Eli, der längst mit seinem Ehemann, einem Juristen, nach Los Angeles gezogen war und uns alle mit der guten Partie verraten hatte. Ich fand Lydia ganz nett. Sie war eine taffe, junge Frau aus Hayward, die keine Anstrengungen gescheut hatte, um zu werden, wer sie heute war. Sie spielte Gitarre in einer leidlich bekannten Band namens The Flying Fish. Ausgefallene, hochwertige Tattoos bedeckten die Innen- und Außenseiten ihrer Arme. Ihr schwarz gefärbtes Haar war lang, der Pony kurz. Sie trug ein enges, schwarzes T-Shirt, schwarze High Heels aus Lackleder und eine auf Dreiviertellänge abgeschnittene Jeans, die weitere Tätowierungen an Füßen und Knöcheln enthüllte. Lydia wäre auch ohne die High Heels ein Hingucker gewesen; mit ihnen war sie ein Wesen von einem anderen Stern. Paul war nicht der Einzige,
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