Das Erbe der Templer
Tier.
Die alte Magie hielt nicht mehr. Sie war zu sehr an die Person des Comte de Melville gebunden gewesen. Nachdem mein Bumerang ihn vernichtet hatte, brach das magische Gefüge auseinander. Auch der Kopflose war gefallen. Das Scheppern der Rüstungen war Musik in meinen Ohren. Ich schaute auf einen Schädel, sah nur mehr gräuliche Fragmente, denn die Knochen waren dabei, allmählich zu zerfallen.
Ein Prozeß, der schon hätte vor Hunderten von Jahren stattfinden sollen, war nun eingeleitet worden und lief in einem Zeitraffer-Tempo ab. Weder Mensch noch Tier brauchten sich vor den untoten Templern mehr zu fürchten.
Ich sprach die Geiseln an. Sie trauten sich nicht, etwas zu sagen. Erst als sie meine menschliche Stimme vernahmen, kam Bewegung in sie.
»Geht in eure Häuser und wartet dort, bis ich euch rate, wieder hervorzukommen. Los, macht schon!«
Die ersten setzten sich zögernd in Bewegung. Es waren die Frauen und die Kinder. Die Männer gingen langsamer, sie schauten mich verständnislos an, und konnten es noch nicht fassen, daß sie gerettet worden waren, dann aber liefen sie weg.
Ich hörte ihre hastigen Schritte hinter mir verklingen, und mein Blick auf das flammende Kreuz wurde nun durch nichts mehr behindert. Die Flämmchen waren nur mehr fingerlang. Sie hatten alles Holz erfaßt, aber sie verbrannten es nicht. Schuld daran trugen nicht die Templer, sondern deren Kraftmagnet, die Figur, die sie verehrt hatten. Baphometh!
Sie sah so aus wie in der alten Burg oben auf dem Berg. Nur stand sie jetzt nicht auf dem Boden eines Kraters, sondern direkt vor mir, und ich konnte in ihre Karfunkelaugen schauen. Zu beiden Seiten des Schädels stachen die Hörner geschwungen hervor und endeten in fingerbreiten Spitzen.
Ich tat nichts.
Es war mir im Augenblick unmöglich, etwas zu unternehmen. Ich brauchte einfach die Ruhe, diesen Blickkontakt mit dem Bösen, denn es hatte das Kreuz in seinen Bann schlagen und mit dem Feuer der Hölle umlodern können. Wem so etwas gelang, der mußte sehr mächtig sein. Karfunkel-Steine als Augen, einen faserigen Bart, eine hohe Stirn, zwei Hörner, hatte man sich so in alten Zeiten den Herrn der Hölle vorgestellt?
Wahrscheinlich. Später hatte sich sein Bild dann verändert, und Asmodis war zu dem geworden, wie ich ihn kannte.
Baphometh lebte nicht, er war eine Figur. Dennoch ging von ihm etwas Unheimliches aus, etwas Böses, Hinterhältiges und Gemeines. Der war vom Atem der Hölle umflort.
Ich trug mein Kreuz frei vor der Brust. Es war anders als das brennende Holzkreuz, ein Prophet hatte es geweiht, und Hector de Valois hatte es ebenfalls einmal besessen.
Ob sich diese Figur daran erinnerte? Sie war mindestens so alt wie Hector de Valois.
Ich streifte die Kette über den Kopf. Für mich gab es momentan nur das Kreuz, Baphometh und die Flammen. Einer von uns würde übrigbleiben, wobei ich hoffte, daß ich der Glückliche war.
»Kennst du es?« fragte ich eigentlich mehr für mich persönlich, aber Baphometh gab Antwort. Es erschreckte mich im ersten Augenblick, ich schüttelte den Kopf und hörte, wie er weitersprach.
»Ja, ich kenne es, John Sinclair. Ich habe es schon oft gesehen und grüße dich hiermit.«
Die Stimme! Mein Gott, die kannte ich doch.
»Asmodis!« ächzte ich.
»Ja, ich bin es. Ich stecke in der Figur. Gratuliere. Dabei dachte ich schon, du hättest mich vergessen.«
»Nein, das nicht.«
»Und jetzt?«
»Ich werde dich vernichten…«
Sein Lachen unterbrach mich, und mir fiel ein, daß ich schon so gesprochen hatte, wie es sonst die Dämonen taten. »Mich vernichten? Nein. Schau hin. Sieh das brennende Kreuz. Und sage mir deine ehrliche Antwort. Habe ich nicht gesiegt? Mein Feuer setzte das Kreuz in Brand. Wann, so frage ich dich, ist das schon einmal geschehen? Erinnere dich…«
»Ich habe es noch nie erlebt!«
»Siehst du, und jetzt, wo die alten Dinge allmählich ans Tageslicht kommen, wo längst verschüttetes Wissen wieder aus dem Tunnel der Zeiten zurückkehrt, wird vieles anders werden, das kann ich dir…«
»Nie!«
Ich hatte in seine Antwort hineingeschrien und handelte im gleichen Moment. Bevor irgend etwas anderes geschehen konnte, schnellte mein Arm vor, und ich preßte das Kreuz zwischen die beiden Hörner Baphomeths. Es war ein Superschlag.
Die Stimme des Satans verebbte in einem wilden Krächzen oder Schrei. Die Figur aber glühte plötzlich noch stärker auf. Sie wurde zu einem regelrechten Feuerball, in dessen Mitte
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