Das Erbe der Templer
Als Nelson Nye seinen rechten Fuß vorschob, dachte er nicht daran, auf historischem Boden zu stehen, er hatte einfach Angst. Verdammte, hündische Angst!
Und Angst ist noch nie ein guter Berater gewesen.
Das mußte auch Nelson Nye einen Moment später feststellen, als er plötzlich ausrutschte. Das dichte Moos war feucht und glatt, der Mauervorsprung einfach zu schmal und uneben.
Mit der Hacke glitt Nelson zuerst weg. Er geriet über die Kante, auf einmal konnte er sich mit dem anderen Bein auch nicht mehr halten und fiel in die Tiefe.
Er schrie nicht, aber er verfluchte den Umstand, daß er nicht an der äußeren Seite gelandet war. Schwer prallte er auf den harten, ausgetrockneten und staubigen Boden. Seine Schulter schmerzte, doch die Verstauchung oder Zerrung war nicht existenzbedrohend. Nye blieb liegen. Er atmete nur durch den Mund, schmeckte dabei den Staub auf der Zunge und zog langsam die Beine an, weil er sich erheben wollte. Nye hatte sich den Job leichter vorgestellt. Ein Kinderspiel, aber das hatte sich nun geändert. Man sagte diesem alten jüdischen Friedhof am Berghang vieles nach. Die einen hielten ihn für verflucht, die anderen glaubten, daß sich dort die Geister der alten Propheten ein Stelldichein gaben. Nelson Nye, ein Mann der britischen Botschaft in Israel, war da anderer Meinung. Für ihn gab es keinen Spuk und keine Geister. Er glaubte nur an das, was er auch mit eigenen Augen sah. An der Mauer schob er sich hoch. Auch sie hatte bereits ihre Jahre auf dem Buckel, sie rahmte einen Teil des uralten jüdischen Friedhofs ein, der am Hang des berühmten Ölbergs liegt, vor dem die Silberkuppel der berühmten Aksa-Moschee glänzt.
Das nur am Tage. In der Nacht wirkt die Kuppel düster und ist kaum zu erkennen.
Nelson Nye stand auf. Man hatte ihn gewarnt, als er das Dokument holte, und er rechnete damit, daß die Aufgabe noch nicht vorbei war. Schließlich mußte er noch zu seinem Wagen kommen.
Der Engländer hatte sich den Friedhof bei Tageslicht angesehen und wußte, daß es auch bei diesem Gelände Stellen gab, über die er leichter klettern konnte. Er mußte nur tiefer laufen, wo die Gitter begannen und auch das alte Eisentor mit seinen verrosteten Spitzen auf den armdicken Stäben. Bis dorthin war es noch eine ziemliche Strecke. Nye wußte, daß man ihn beobachtete. Er hatte zwar niemand gesehen, doch er verließ sich auf sein Gefühl, und das hatte ihn noch niemals getrogen. Rechts von ihm befand sich die hohe Mauer. An der linken Seite, den Hang hinabgezogen, lag das gewaltige Gräberfeld des alten Judenfriedhofs. Es war der berühmteste der Welt und am Tage Anlaufpunkt für zahlreiche Touristen, doch jetzt, wo die Tageswende bereits überschritten war, befand sich Nye allein auf dem Areal. Manche Grabsteine wurden von alten, knorrigen Zweigen der Olivenbäume beschützt. Strenge Gläubige waren fest davon überzeugt, daß es unter ihnen acht Olivenbäume gab, die schon zu Christie Geburt dort gestanden hatten.
Diese Bäume wurden in der Gegenwart sehr intensiv gepflegt. Alte Äste hatte man durch Betonsäulen und Sockel gestützt, damit sie nicht abbrachen.
Ein Franziskaner-Mönch kümmerte sich täglich um die Bewässerung dieser wertvollen Bäume.
Daran dachte Nye nicht. Er war ein Mann, der sich zu den knallharten Typen zählte. Offiziell arbeitete er für die Botschaft, aber der englische Geheimdienst bezahlte ihn, und Nye hatte schon wertvolle Informationen aus dem Pulverfaß Israel geliefert.
Obwohl es ihn drängte, schnell den Friedhof zu verlassen, riß er sich zusammen, da er fest daran glaubte, unter Beobachtung zu stehen. Er ging also ganz normal.
Fast wäre er dabei über eine Treppe gestolpert. Die Stufen hoben sich bei der herrschenden Dunkelheit kaum vom Untergrund ab. Sie waren schwarzbraun und mit Moos bewachsen.
Er lief die Treppe hinab. Sie mündete in einem Quadrat, wo drei Grabsteine standen. Sie ragten schief aus dem Boden und sahen so aus, als wollten sie jeden Moment umkippen. Dabei hatten sie schon die langen Jahrhunderte überdauert.
Nelson Nye atmete tief durch. Zum erstenmal eigentlich seit dem Fund, der sehr wertvoll sein sollte und sich in der Innentasche seiner Jacke verbarg. Dieses Gräberfeld war für ihn ein Etappenziel, er hatte es auch auf dem Hinweg passiert. Jetzt brauchte er eigentlich nur die in den Hang gehauene Treppe zu finden, die ihn weg vom Ölberg und wieder nach Jerusalem brachte.
Die Stadt lag zu seinen Füßen. Eine schwache
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