Das Erbe des Atoms
daran zweifelte, daß das Ende der Welt unmittelbar bevorstehe.
4.
Als Alden am Nachmittag des dritten Tages nach der Geburt des Linn-Säuglings den großen Covis-Tempel betrat, war er müde und hungrig. Außerdem war er ein gejagter Mann mit den besonderen Gedanken eines Flüchtlings. Er sank in den Stuhl, der ihm von dem Assistenten angeboten wurde. Und während der junge Mann noch beschäftigt war, die Situation zu begreifen, befahl Alden ihm, niemanden von seiner Anwesenheit zu unterrichten, ausgenommen Horo, den Chefgelehrten des Covis-Tempels.
»Aber Horo ist nicht hier«, sagte der Assistent. »Er ist vor kaum einer halben Stunde zum Palast des Oberherrn gerufen worden.«
Alden begann sich der zerlumpten Frauenkleider zu entledigen. Seine Müdigkeit fiel von ihm ab. Nicht hier, dachte er in freudiger Erregung. Das bedeutete, daß er selbst bis zu Horos Rückkehr der Chefgelehrte im Tempel war. Er ließ sich eine Mahlzeit bringen und nahm Horos Büro in Besitz. Und er stellte Fragen.
Zum ersten Mal erfuhr er die offizielle Begründung, die für die Exekution beim Raheinl-Tempel gegeben worden war. Er dachte lange darüber nach, und je länger er dachte, desto zorniger wurde er. Er war sich vage bewußt, daß sein Denken auf einer sehr radikalen Ebene verlief, die er zu einem anderen Zeitpunkt vielleicht häretisch genannt hätte; und doch fühlte er sich gekränkt, daß die Götter in ihren Tempeln beleidigt worden waren. Irgendwie wußte er, daß sie ihr Mißvergnügen nicht offen zeigen würden. Die Gedanken eines Flüchtlings neigten instinktiv zu solch praktischen Überzeugungen. Bevor der Abend halb um war, prüfte er die Möglichkeiten.
Seit undenklichen Zeiten hatten die Götter bestimmte Prozesse begünstigt. Kapitäne und Besitzer von Raumschiffen brachten Schwermetallbarren zu den Tempeln. Nachdem die zeremoniellen und finanziellen Vorbereitungen abgeschlossen waren, wurden die Barren für genau einen Tag in die unmittelbare Nachbarschaft des aufgedeckten Götterstoffs gelegt. Nach vier Tagen war die Macht des Götterstoffs auf den Barren übergegangen. Er wurde von dem Einlieferer zu seinem Schiff zurücktransportiert und dort unter einfachem Zeremoniell in Metallkammern untergebracht. Durch den Gebrauch photoelektrischer Zellen – einer der wenigen technischen Vorrichtungen aus sehr alter Zeit, die nachzubauen man gelernt hatte – konnte eine atomare Kettenreaktion nach Belieben in Gang gebracht, kontrolliert und wieder gestoppt werden.
Wenn genug von diesen Metallkammern verwendet wurden, konnten die größten Raumschiffe angetrieben werden, die nach überlieferten Vorbildern gebaut werden konnten. Seit jeher war der Götterstoff in allen Tempeln in vier verschiedenen Räumen aufbewahrt worden. Und ein sehr altes Sprichwort lautete, daß die Götter sehr zornig würden, wenn man sie zu nahe zusammenbrachte.
Alden wog sorgfältig eine kleine Quantität jedes Typs von Götterstoff aus. Dann ließ er einen Metallkasten aus den Versuchsräumen in den Garten des Tempels hinausbringen. An diesem Punkt fiel ihm ein, daß andere Tempel an dem Protest teilnehmen sollten. Er hatte inzwischen erfahren, daß sechs von den sieben Mitgliedern des Gelehrtenrats noch immer im Palast waren, und er hatte einen ziemlich starken Verdacht, daß sie dort festgehalten wurden.
Er setzte sich in Horos prunkvolles Büro und verfaßte Befehle für die stellvertretenden Chefs derjenigen Tempel, deren Leiter abwesend waren. Darin forderte er sie auf, genau das zu tun, was er vorhatte. Er beschrieb seinen Plan in allen Einzelheiten und schloß: »Die Mittagszeit, wenn die Sonne ihren höchsten Punkt erreicht, soll die Stunde unseres Protests sein.« Jeden Brief schickte er durch einen Tempelschüler.
Er hatte keinen Zweifel. Am folgenden Tag, als die Mittagszeit heranrückte, hatte er seine Proben des Götterstoffs in das photoelektrische Relaissystem eingeführt. Dann drückte er aus einer Entfernung, die er für sicher hielt, von beträchtlicher Gewalt. Drei weitere Explosionen folgten kurz nacheinander. Nur zwei von den Tempeln mißachteten den Befehl des Flüchtlings. Sie hatten Glück. Die erste Explosion verwandelte die Hälfte des Covis-Tempels in Staub und ließ den Rest als einen bröckelnden Haufen von gelockertem Mauerwerk zurück.
In keinem der vier Tempel gab es Überlebende. Von Alden blieb nicht einmal ein Fetzen Fleisch oder ein Tropfen Blut übrig.
Um vierzehn Uhr brandeten
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