Das Erbe des Atoms
verlangte die Fortführung dieser Kriege ungeachtet ihrer Kosten. Die von den Trägern des sagenhaften goldenen Zeitalters der Zivilisation ausgeplünderte Erde war auf die Bodenschätze der Nachbarplaneten angewiesen. Etwas, so schien es dem Oberherrn, mußte geopfert werden, um das Ziel zu erreichen. Etwas Großes. Er hatte sich für die Tempel entschieden, denn was ihr Jahreseinkommen betraf, waren sie die einzigen wirklichen Rivalen der Regierung.
Und noch etwas kam hinzu. Mit wenigen Ausnahmen hatten die Tempelgelehrten während des Bürgerkriegs Raheinl unterstützt. Sie hatten ihm bis zu dem Tag, wo er gefangen und getötet worden war, die Treue gehalten. Danach hatten sie dem neuen Regime ihren Treueid geleistet, aber er vergaß nie, daß ihr Monopol auf die Atomenergie beinahe zur Wiedererrichtung der korrupten Republik geführt hätte. Wäre es nach Raheinls und ihren Plänen gegangen, so wäre er, Medron Linn, derjenige gewesen, den man exekutiert hätte.
Bei seiner Rückkehr in den Palast, erwarteten ihn die Mitglieder des Rates der Gelehrten. Es war keine zwanglose Zusammenkunft. Nur sechs von den sieben Ratsmitgliedern waren anwesend. Der siebte, Kourain, der Dichter und Historiker, war am Fieber erkrankt, wie Joquin meldete. In Wirklichkeit hatte er einen Anfall von akuter Vorsicht erlitten, als er von den Hinrichtungen des Morgens gehört hatte; hastig war er daraufhin zu einer Inspektionsreise aufgebrochen.
Von den sechs zeigten wenigstens drei durch ihre Mienen, daß sie nicht lebendig aus dem Palast zu kommen erwarteten. Die übrigen drei waren Mempis, ein kühner, weißhaariger Mann von beinahe achtzig Jahren; Teear, der Logiker, ein arithmetisches Genie, dem der Ruf voranging, er habe sein Wissen über komplizierte Zahlen von den Göttern selbst erhalten; und schließlich Joquin, der seit Jahren als Verbindungsmann zwischen der Tempelhierarchie und der Regierung fungiert hatte.
Der Oberherr betrachtete seine Zuhörer mit scheelen Blicken. Die Jahre des Kampfes und des schließlichen Erfolgs hatten seinem Gesicht einen sardonischen und mißtrauischen Ausdruck verliehen. Er war zu diesem Zeitpunkt ungefähr fünfzig Jahre alt und trotz seiner Magerkeit in bemerkenswert guter gesundheitlicher Verfassung. Er begann seinen Vortrag mit einem kalten und überlegten Angriff auf die Gelehrten des Raheinl-Tempels, die er als Verräter und Saboteure bezeichnete. Er beendete diese Phase seiner Ansprache mit den Worten: »Morgen werde ich meine Aktion gegen den Tempel vor dem Patronat rechtfertigen. Ich bin fest davon überzeugt, daß man meine Handlungsweise billigen wird.«
Zum ersten Mal schenkte er ihnen ein düsteres Lächeln. Niemand wußte besser als er und seine Zuhörer, daß die Mitglieder des sklavischen Patronats ohne seine Erlaubnis nicht einmal zu hüsteln wagten. »Ich bin davon überzeugt«, fuhr er fort, »weil es meine Absicht ist, gleichzeitig eine spontane Petition von den Tempeln vorzulegen, worin um Genehmigung für eine Reorganisation nachgesucht wird.«
Die bis dahin reglos verharrenden Zuhörer kamen in Bewegung. Die drei in Todeserwartung angetretenen Mitglieder blickten, mit einer unbestimmten Hoffnung in ihren Gesichtern, zu ihm auf. Einer von ihnen, ein Gelehrter namens Horo, sagte eifrig: »Euer Exzellenz können auf uns zählen, wenn ...« Er brach ab, als Mempis ihm einen vernichtenden Blick zuwarf. Er blieb still, doch zeigte sein Gesicht, daß er mit sich zufrieden war. Er hatte gesagt, worauf es ankam. Der Oberherr mußte wissen, daß wenigstens Horo bereit war, seinen Interessen zu dienen. Er fühlte die enorme innere Erleichterung eines Mannes, dem es gelungen ist, seine Haut zu retten.
Der Oberherr lächelte grimmig. Er war nun beim entscheidenden Teil seiner Ansprache angelangt, den er mit legalistischer Präzision vortrug. Die Regierung, so sagte er, sei nun bereit, die Tempel in vier verschiedene Gruppen aufzuteilen, wie es von den Gelehrten seit langem gewünscht werde. (Dies war das erste Mal, daß sie von einem solchen Plan hörten, aber keiner sagte etwas.) Es sei lächerlich, fuhr der Oberherr fort, daß die vier Atomgötter in den gleichen Tempeln verehrt werden sollten. Dementsprechend würden die Gelehrten vier getrennte Organisationen bilden und die vorhandenen Tempel gleichmäßig auf die vier Gruppen verteilen. Jede Gruppe würde sich der Verehrung nur eines Gottes und seiner Attribute widmen, obwohl sie natürlich fortfahren würden, ihre praktischen
Weitere Kostenlose Bücher