Die Holzhammer-Methode
[zur Inhaltsübersicht]
1
«Wen Gott liebt, den lässt er fallen in dieses Land», murmelte Hauptwachtmeister Franz Holzhammer, als er den toten Gleitschirmflieger inmitten der duftend blühenden Alpenflora erreichte. Doch ob es Gott gewesen war, der den jungen Mann hatte fallen lassen, oder jemand anders – das würde sich erst noch herausstellen müssen. Auf jeden Fall war es kein Akt der Liebe gewesen.
Die Sonne stand hoch über dem Watzmann und schien ungehindert auf schwitzende Bergwanderer, Eis essende Rentner und bräunungshungrige Hautkrebs-Ignoranten, die um diese Tageszeit in Scharen die Terrassen der Wirtschaften, die Wanderwege und Almwiesen bevölkerten. Eine ganze Karawane bewegte sich von der Bergstation der Jennerbahn talwärts. Erholungssuchende auf der Jagd nach einem Bergerlebnis ohne Anstrengung.
Holzhammer stand auf der großen Wiese, die als Gleitschirm-Landeplatz diente. Der Tote hatte sich für sein spektakuläres Ende einen denkbar ungünstigen Zeitpunkt ausgesucht, kurz vor Dienstschluss an einem heißen Sommertag. Holzhammer hätte schon längst daheim auf seiner Baustelle sein können. Nur am Rande nahm er wahr, wie sich das Gesurr der Insekten mit entfernten Juchzern aus dem Freibad und dem gelegentlichen Aufbrummen eines schweren Motorrads vermischte. Auch das beeindruckende Panorama interessierte ihn nicht – er kannte das alles von klein auf. Die Berge ringsherum hätte er mit geschlossenen Augen malen können. Man konnte von hier das Kehlsteinhaus sehen, rechts davon ragte der Hohe Göll schroff empor. Noch weiter rechts führte die Seilbahn über grüne Almen hoch zum Gipfel des Jenner. Über den tiefen Einschnitt, in dem der Königssee lag, grüßten die obersten Spitzen des Steinernen Meeres. Im Südwesten schließlich lag als grüner Hügel der freundliche Grünstein und direkt dahinter, von hier aus zu Fuß zu erreichen, der berühmte Watzmann, Deutschlands zweithöchster Berg.
Der Duft der Wildblumen und Kräuter überlagerte größtenteils die Abgase der PKW , die dem Großparkplatz zwischen Jennerbahn und Königssee zustrebten oder ihre Passagiere bereits wieder talauswärts Richtung Autobahn beförderten.
Weder der McDonald’s noch die Tankstelle waren von diesem Punkt aus zu sehen. Ausschließlich Häuser mit Holzbalkonen und weit überkragenden, im Dreißig-Grad-Winkel geneigten Dächern. Auf diese Konsequenz in Sachen bayerischer Bauart war man in der Gemeinde sehr stolz. Der Himmel jedoch war heute mehr blau als bayerisch weiß-blau. Nur eine einzige Wolke stand am Himmel. Das war die Wolke bunter Gleitschirme über dem Jennergipfel.
Am Rande der Wiese, auf der Holzhammer stand, parkte ein Krankenwagen. Die Sanitäter wussten bereits, dass sie hier nichts mehr tun konnten. Doch bisher war noch nicht einmal der Arzt erschienen, um den Tod offiziell festzustellen. Neben dem Toten stand mit versteinertem Gesicht der junge Mann, der den Vorfall per Handy gemeldet hatte.
«Der Schirm sieht in Ordnung aus», sagte er gerade zu Holzhammer, als direkt hinter ihm mit viel Schwung ein weiterer Flieger zur Landung ansetzte.
«Alexander, was ist passiert?», schrie der Neuankömmling noch aus der Luft. Eilig befreite er sich aus seinen Gurten und stürzte auf den reglosen Körper zu. Neben dem Leichnam fiel er auf die Knie und machte Anstalten, den Toten an den Schultern zu rütteln, als ob er ihn aufwecken wollte.
«Obacht, nichts berühren», warnte der Hauptwachtmeister, «sonst kann ich die Spurensicherung gleich wieder abbestellen. Sie kannten den Toten?»
«Ja, wir sind zusammen hier, er ist mein bester Freund.» Und leiser: «Er war mein bester Freund. Was ist nur passiert?»
«Das wird sich rausstellen», antwortete Holzhammer. «Aber jetzt machen wir alle erst mal ein paar Schritte vom Fundort weg, und dann geben Sie mir Ihre Personalien.» Holzhammer hatte naturgemäß viel mit Touristen zu tun. Aufgrund langjähriger Erfahrung hatte er sich angewöhnt, mit ihnen zu sprechen wie mit kleinen Kindern.
Er nahm die Ferien- und Heimatadressen auf. Der Tote hieß Alexander Klein und war zusammen mit seinem Freund Tobias Pfahl vor einer Woche aus Bremen angereist, um hier Urlaub zu machen. Sie wohnten in einem der vielen Privatzimmer mit Bergblick bei einer Frau Schön.
«Wir waren so gut drauf, gestern haben wir noch bis nachts auf dem Balkon gesessen und Witze erzählt – viel gelacht –, es war so schön draußen … Dreimal war die Wirtin da und hat
Weitere Kostenlose Bücher