Das Erbe in den Highlands
Habe ich erwähnt, dass Sie zusammen mit der Burg auch einen Blankoscheck geerbt haben?«
»Wie bitte?«
Mr McShane zog ein Taschentuch heraus und wischte seine plötzlich beschlagenen Brillengläser ab. »Miss Buchanan, das Guthaben auf dem Bankkonto, das Sie erwartet, ist von einer derartigen Höhe, dass Sie nicht einmal den zehnten Teil davon im Laufe Ihres Lebens ausgeben können. Genau genommen stehen Ihnen mehr Mittel zur freien Verfügung, als Sie sich vorstellen können, um sie nach Belieben auszugeben. Möglicherweise zur Renovierung Ihrer Burg.« Er setzte die Brille wieder auf, starrte Genevieve eindringlich an und wartete ab.
»Oh nein«, stöhnte sie und hielt sich an der Tischkante fest. »Das kann doch einfach nicht wahr sein.«
»Ein wunderbarer Glücksfall, wenn ich mir erlauben darf, meine Meinung zu äußern. Jedenfalls eine Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen sollte.«
Genevieve haschte verzweifelt nach den Bruchstücken ihrer Vernunft, die sich zu verflüchtigen schienen. »Ich kann doch nicht so mir nichts, dir nichts mein Geschäft im Stich lassen«, erklärte sie, während sie im Geiste all die Mühen auflistete, die sie dafür auf sich genommen hatte. »Können Sie sich denn vorstellen, wie viele Jahre ich gebraucht habe, um die Leute davon zu überzeugen, dass ich eine Restaurierungskünstlerin bin, nicht nur ein bessere Innendekorateurin? Zu mir kommen Kunden aus dem ganzen Land.«
Na, das klang doch schon richtig vernünftig.
»Ich liebe meine Arbeit«, erklärte sie und redete sich langsam warm. »Die Persönlichkeit der ursprünglichen Struktur zu entdecken, all die Schichten neuer und alter Farbe abzukratzen, das ist es, was meine Vorstellungskraft beflügelt. Wie können Sie mir nur vorschlagen, das aufzugeben und den Rest meines Lebens in einer Burg zu verbringen, die mir vielleicht schon beim ersten Anblick zuwider ist?«
»Aber Miss Buchanan, was könnte denn beflügelnder sein, als eine wunderbar erhaltene Burg aus dem dreizehnten Jahrhundert zu restaurieren?«
Sein Blick war flehentlich. »Denken Sie doch an das viele Geld, und was für schöne Antiquitäten Sie dafür kaufen könnten. Ja, Sie könnten Ihr Geschäft sogar in England neu aufbauen.«
Ach, diese Anwaltslogik. Genevieve sah ihre so vernünftigen Entschlüsse wie Wasser durch ein Abflussrohr davonrauschen. Der Himmel stehe ihr bei, sie spielte tatsächlich mit dem Gedanken!
Sie musste sich retten - schnellstens, ehe sie etwas tat, das sie bereuen würde. Ihr Geschäft war ihr Leben. Dank harter Arbeit hatte sie es aus dem Nichts aufgebaut. Und sie hatte es alleine geschafft, ganz ohne fremde Hilfe. Geld und Besitz waren dagegen zweitrangig.
»Leider muss ich ablehnen, Mr McShane.«
»Aber ...« Die Schmetterlingsfinger setzten zu einem hektischen, verzweifelten Flug an. »Wenn Sie die Burg nicht annehmen, fällt sie an einen entfernten Verwandten des verstorbenen Earl. Das können Sie doch bestimmt nicht wollen.«
Genevieve stand auf. »Ich muss gehen«, erklärte sie betrübt, drehte sich um und verließ das Restaurant.
Eine halbe Stunde später betrat Genevieve ihre Wohnung. Automatisch und ohne hinzusehen verriegelte sie die Tür, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und ließ sich von der
Dunkelheit umfangen. Ihre Tasche glitt zu Boden, dann ihre Jacke.
Sie stieß sich von der Tür ab und ging den Flur entlang, zählte tastend die Türen ab. Die zweite rechts. Langsam drehte sie den Knauf. Nachdem sie den Raum betreten hatte, schloss sie die Tür hinter sich. Nun erst griff sie nach dem Lichtschalter. Sofort erstrahlte sanftes, goldenes Licht und verbannte die Schatten.
Sie ließ sich auf den Boden sinken und betrachtete das, was sie umgab. Burgen. Burgen in allen Größen, Formen und Farben. Papierburgen, die sie zusammengeklebt hatte, aufgezogene Burgpuzzles, einfache Burgen aus Holz, von ihr gezimmert. Außerdem die Burgen, die sie gekauft hatte, Nachbildungen von Burgen aus früheren Zeiten, inzwischen nur noch leere Hüllen auf dieser fernen Insel.
Genevieve lächelte vor sich hin. Das hier war ihr Schrein, hierher kam sie, wenn im Leben nicht alles glatt lief. Egal, wie es im Mittelalter tatsächlich zugegangen war, eine Burg bedeutete für sie Sicherheit. Die Burg war eine Zuflucht vor den Stürmen des Lebens, ein Ort der Familie, des Lachens und der Liebe.
Und nun hatte man ihr eine angeboten.
War Bryan McShane eine verkappte gute Fee? Lieber Himmel, allein das Bauwerk ließ
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