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Das erste Mal und immer wieder

Das erste Mal und immer wieder

Titel: Das erste Mal und immer wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moos
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er sich schon auf dem Weg nach unten befand. Mit einer hastigen Bewegung setzte ich mich wieder auf den altmodischen Stuhl. Wo war Marianne bloß? Ich fragte mich, was mich erwartete. Sollte der Alte jetzt in die Küche kommen? Mein Herz klopfte wie Paukenschläge, so viel Angst hatte ich.
    Er kam die Treppe herunter, und ich schaute gebannt auf die Tür, auf alles gefasst, aber auch sehr neugierig, denn wirklich gesehen hatte ich den alten Heinz noch nie. Die Stufen knarrten, und ich konnte genau hören, wie er mit Hilfe seines alten Gehstocks Stufe für Stufe herunterkam. Er sagte nichts. Ich konnte seinen schnellen, schweren Atem hören, der in mir ängstliche Gefühle auslöste, die ich jedoch nicht einordnen konnte. Schweißperlen auf seiner Stirn und die Augen weit aufgerissen, so starrte er mich an, als er den Türrahmen erreicht hatte. Ängstlich schaute ich zurück, aber auch trotzig und spielte nervös mit dem Kaffeebecher.
    Da stand er, viel kleiner, als die kräftige Stimme vermuten ließ, eine Hand in den Rahmen gestützt, die andere lag schwer auf dem Stock. »Wo ist die Fotze?«, herrschte er mich keuchend an. Seine ergrauten, ungepflegten Haare waren strähnig und licht über den kleinen Kopf verteilt und sahen aus wie angeklebt.
    Buschige Augenbrauen mit einzelnen, langen Haaren wucherten über den Augen zusammen, und Haarbüschel lugten aus Ohren und Nase. Am auffälligsten war der Schmuck, der nur aus einem einzigen Ring bestand, den ein schwarzer Stein zierte. Seine Haut an Hals und Armen war schlaff und sah ausgemergelt und fast vertrocknet aus.
    Ich hätte ihn leicht über 90 Jahre geschätzt. Mit seinen dünnen, knöchrigen Fingern erinnerte er mich mehr an die Hexe aus »Hänsel und Gretel«, als an einen alten Mann. »Marianne?« Ich war bis ins Mark erschrocken über seine Ausdrucksweise. »Sie kommt gleich, müsste längst hier sein, sie holt nur was … und gratulieren wollte ich Ihnen, weil Sie ja Geburtstag haben, genauso wie ich. Ich habe auch Kuchen hier und hoffe, Sie mögen ein Stück, meine Mutter hat ihn selbst gebacken, er ist wirklich sehr lecker.«
    Ich redete ohne Punkt und Komma, ohne Luft zu holen, und legte gleichzeitig ein Stück Kuchen aus der Box auf einen herumstehenden Teller. Ich hielt ihm das Ganze entgegen. Langsam und misstrauisch humpelte er in den Raum und ließ sich schwer auf einen Stuhl sinken. »Du hast doch schon oft vor meinem Haus rumgelungert und mich geärgert?« Doch er lächelte mich dabei an, und ich war direkt erstaunt, dass er noch alle Zähne hatte.
    »Was willst du denn von der blöden Kuh? Solange sie Geld hat, kommt die nicht. Die treibt sich nur rum«, sagte er. »So, und nun geh, ich will keine Fremden hier im Hause haben«, er stemmte sich hoch und bewegte sich mühsam über den Flur in seine Wohnstube. Den Kuchen hatte er nicht angerührt. Marianne kam noch immer nicht zurück, ich verfluchte sie und überlegte, was ich nun tun könnte. Ich wollte schließlich mein Geld zurück. Mir blieb nichts anderes übrig, als zurück nach Hause zu laufen und dort das Schlimmste über mich ergehen zu lassen. Vorher klopfte ich noch an die Tür, hinter welcher der Alte verschwunden war. »Ich gehe jetzt, aber ich komme Sie wieder besuchen.«
    Von diesem Moment an ging ich regelmäßig, fast täglich zum alten Heinz. Ich hatte überhaupt keine Angst mehr vor ihm, schlich mich immer hinten durch den Stall in sein Haus, trotz seiner ewigen Beleidigungen und Aufforderungen, dies zu unterlassen.
    Ich fühlte mich auf eigenartige Weise mit ihm verbunden, fühlte mich sicher und ruhig bei ihm. Ich hatte selber keinerlei Erklärung dafür. Seit der ersten »Schreckminute«, in der ich ihm in der Küche begegnet war, hatte er eine magische Anziehungskraft auf mich ausgeübt. Ich ignorierte sein schnoddriges, vulgäres Reden und Benehmen und fand neben ihm sogar die Ruhe, meine Hausaufgaben gewissenhaft zu erledigen. Marianne nutzte diese für sie günstige Wendung, um noch seltener anwesend zu sein, bis sie schließlich eines Tages überhaupt nicht mehr kam. Aber das schien den alten Heinz nicht zu überraschen. Er quittierte es mit diesem abwesenden Blick, irgendwo in die Ewigkeit hinein.
    Natürlich rastete meine Mutter völlig aus. Sie versuchte mit allen Mitteln, die Kontrolle über mich zurückzuerlangen, mich daran zu hindern, diesen »Säufer und asozialen Geisteskranken« zu besuchen. Sie war sich sicher, dass ich mir alle möglichen Krankheiten einfangen

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