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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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Mutterhaus.«
    »In Trier?«, fragte sie verwundert.
    Carmen beugte sich zu ihr. »Was ist Schlimmes an Trier, Frau Rudolph?«
    Sie schaute aus dem Fenster. Grau der Himmel, ohne Wol­ken und ohne Sonne. Es regnete. Tropfen schlugen gegen die Fensterscheibe, rollten herunter, verbündeten sich zu kleinen Rinnsalen und hinterließen ein bizarres Muster. So wie in mir, überlegte sie. Auch in mir sind bizarre Muster, die ich nicht deuten kann. Sie legen sich über alles. Irgendwann bin ich mit ihnen verwoben. Und denke dann auch nur noch bizarr.
    »Was haben wir heute für einen Tag?«
    »Freitag.«
    »Dann bin ich …«
    »… seit zwei Tagen bei uns.«
    »Und welche Abteilung?«
    »Psychiatrie. Ich bin auch Psychiaterin.«
    »In der …«
    »Nein, nicht in der geschlossenen Abteilung.« Carmen lächelte und lehnte sich zurück. Noch nicht, überlegte sie. Denn es kam auf ihre Einschätzung an, ob die junge Frau per Gerichtsbeschluss für einige Tage in die geschlossene Abteilung eingeliefert werden würde. Das war ein normaler Vorgang, wenn akute Suizidgefahr bestand und sich keine Verwandten meldeten. »Sie können gehen und kommen, wann immer sie wollen. Falls sie gehen können. Sind Sie nun beruhigt?«
    Ohne ein Antwort zu erhalten erkannte Carmen, dass ihre Patientin beruhigt war. Bleich sah sie aus, dünn und zerbrech­lich. Und sicherlich noch nicht so alt.
    »Ihr Geburtsdatum?«
    »August 1978.«
    »Ein Wonnemonat, der August. Jetzt habe ich einunddreißig Möglichkeiten. Helfen Sie mir bitte.«
    »Vierzehnter August.«
    »Und Sie wohnen hier in Trier?«
    »Ja.« Sandra nickte heftig. Erneut wurde ihr schwindelig. »In Olewig. Auf der Hill.«
    Carmen räusperte sich und Sandra sah zu ihr hoch. Sie fühlte sich von den Augen der Ärztin durchschaut. Trotzdem hielt sie dem Blick stand.
    »So jung, sicherlich aus gutem Hause, vieles haben Sie noch vor sich, und in Ihnen tobt ein schlimmer Kampf. Frau Ru­dolph, wollen Sie mir von diesem Kampf erzählen?«
    »Welchem Kampf?« Sie tat erstaunt und ahnte, dass sie Car­men nichts vormachen konnte.
    »Da alles einen Grund hat, möchte ich von Ihnen wissen, warum Sie hier bei uns sind.«
    Carmen erhielt keine Antwort.
    »Ihre Kleidung sieht teuer aus, die Schuhe gibt es nicht un­ter dreihundert Euro, die Handtasche kostet das Dreifache. Geld haben wir in Ihrer Tasche nicht gefunden, auch nicht die üblichen Dinge, die wir Frauen so benötigen – außer einem Lippenstift und etwas Kosmetika. Keine Ausweispapiere, kei­nen Führerschein. Macht Ihnen Ihre Identität so zu schaffen? Wollten Sie sich in die Anonymität flüchten? Vielleicht aus … aus …«
    »Frau …«
    »Sigallas«, half die Psychologin.
    »Frau Sigallas, mir geht es nicht sonderlich gut. Ich bin er­schöpft. Können wir vielleicht später darüber reden?«
    »Die blauen Flecke. Sind Sie gefallen?«
    »Ja.«
    »Interessant. Öfters gefallen?«
    »Wie soll ich das verstehen?«
    »Nun, die Flecke sind unterschiedlich alt.«
    Sie antwortete nicht.
    »Und dann auch noch das Becken. Schwerer Sturz vor einem guten Jahr, schätze ich. Der Riss ist deutlich zu sehen. Welcher Arzt hat Sie behandelt?«
    »Was ist mit meinem Becken?«
    »Es war angebrochen. Aber mittlerweile ist es wieder gut verheilt. Spüren Sie ab und zu den Wetterumschwung in Ihrem Becken? Oder schmerzt es beim Verkehr?«
    Sie drehte sich zur Wand und schluckte. Tränen liefen ihr über die Wange. Und mit einem Mal glaubte Sie wieder diesen Schmerz zu fühlen, als würde jemand ihren Unterleib abtrennen.
    »Ich bin erschöpft. Können wir nicht …« Ihre Stimme klang belegt.
    »Wie sie wollen.« Carmen schien enttäuscht zu sein, stand auf, rückte das blanke Metallgerüst mit der daran baumeln­den Infusionsflasche zurecht, drehte am Dosierer und ging in Richtung Tür.
    »Neben dem Bett ist eine Klingel. Ich bin immer für Sie zu er­reichen. Auch während der kommenden Nacht.« Zögernd, als hoffte sie, zurückgehalten zu werden, verließ sie den Raum.
    Endlich allein, schloss Sandra die Augen und bemühte sich, die Vergangenheit zu rekonstruieren. Waren es vorhin nur ein­zelne Erinnerungsfetzen, die sich ihr mitzuteilen versuchten, erschrak sie nun vor dem Schwall an Bildern, die auf sie ein­stürmten und alle auf einmal beachtet werden wollten. Und da sie sich nicht auf eine Reihenfolge festlegen konnte, schlief sie ein. Hemmungslos konnten nun die Bilder auf sie niederpras­seln und sich in ihrem Unterbewusstsein einnisten. Unruhig

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