Das ewige Lied - Fantasy-Roman
Unterhaltung, die sie am Vorabend unfreiwillig belauscht hatte. Vorsichtig blinzelte sie zu Daphnus hinüber, der ebenso verschlafen wie sie selbst schien. Sie konnte nichts Ungewöhnliches an ihm entdecken, was ihr elfisch vorgekommen wäre, und langsam begann sie sich zu fragen, ob sie den seltsamen Wortwechsel ihrer beiden Gefährten vielleicht nur geträumt hatte. Daphnus und Kallabul zumindest ließen sich ihr gegenüber nichts anmerken und packten langsam und auch noch ermattet von der kurzen Nacht ihre Habseligkeiten zusammen. Jayel tat es ihnen nach. Nur ungern wollte sie vor dem Rat der Erdmenschen unpünktlich erscheinen.
Als die kleine Gruppe den Saal am oberen Ende des zentralen Turmes jedoch betrat – Daphnus hatte den Aufstieg zähneknirschend, aber ohne größere Zwischenfälle hinter sich gebracht – war der Großteil der Ratsmitglieder bereits versammelt, nur noch wenige suchten sich ihre Plätze. Kolpe führte seine Gäste wieder zum Zentrum des Saales, wo Jayel gespannt das „Urteil“ erwartete. Schließlich erhob sich der alte Mann, der auch am Vortag das Wort geführt hatte, und das unterschwellige Gemurmel erstarb. Der Alte räusperte sich vernehmlich, klopfte den Stab, den er wieder in der rechten Hand hielt, auf den Boden und sagte: „Höret, Fremde, was der Rat entschieden hat. Wir stimmen unserem Häuptling Kolpe zu: Die Zeichen sind eindeutig. Offenbar trifft die alte Prophezeiung endlich ein, und das ist gut so. Zwar werden Schweiß, Blut und Tränen der Preis sein, doch am Ende steht die Verheißung der vereinten Völker. Diese junge Bardin scheint wirklich die Gabe zu besitzen, eines Tages das Ewige Lied zu singen; auch die Mutter selbst hat zu ihr gesprochen. Deswegen glauben auch wir, dass sie die Auserwählte sein könnte und erlauben ihr, den Erdkristall zu holen. Wenn ihr dies tatsächlich gelingt, muss sie wahrhaftig das Werkzeug der Vorsehung sein, auf das wir gewartet haben.“
Der Alte klopfte erneut den Stab auf den Boden, und die Ratsmitglieder erhoben sich von ihren Plätzen. „So sei es!“, sagten alle im Chor, was wohl heißen sollte, dass dies ein einstimmig gefällter Beschluss war. Dann begann sich die Versammlung bereits langsam aufzulösen.
Jayel starrte immer noch auf den Fleck des Steinbodens, auf dem der Sprecherstab den Boden berührt hatte, während Daphnus und Kallabul begeistert zu reden begannen: „Wir haben den Kristall – jetzt brauchen wir nur noch den Kristall der Elfen, dann können wir endlich...“
„Wir haben den Kristall noch nicht!“, unterbrach Jayel und blickte auf. Sie sah von Daphnus und Kallabul, die mit erstauntem Gesicht verstummt waren, zu Kolpe und Tiark, die versteinerte Mienen zur Schau trugen. „Wir haben ihn noch nicht“, wiederholte sie langsam. „So ist es doch, nicht wahr? Wir müssen ihn erst holen. Aber von wo?“
Kolpe zögerte nicht mit der Antwort: „Ja nun, da liegt eine kleine Schwierigkeit. Unsere Vorfahren haben den Kristall an einen sicheren Ort gebracht, von dem Fremde ihn nicht so leicht stehlen können. Keine Sorge, ihr bekommt eine Karte. Und Tiark, mein Sohn, wird euch von nun an begleiten.“
Tiark nickte und trat einen Schritt vor. Kolpe legte ihm die Hand auf die Schulter, überreichte seinem Sohn feierlich ein zusammengerolltes Pergament und sagte: „Ich übertrage dir hiermit die Verantwortung für unseren größten Schatz, mein Sohn. Sorge dafür, dass er nicht missbraucht wird.“
Tiark nickte stolz und steckte sich die Karte in den Gürtel.
„Und wo müssen wir nun genau suchen?“, fragte Jayel ungeduldig.
Kolpe sah sie an. Dann antwortete er: „In den tiefsten Verliesen der Schulter des Riesen!“
9: In der Schulter des Riesen
„Oh!“, sagte Jayel und blickte zu Daphnus und Kallabul.
In Daphnus Kopf schien es zu arbeiten. „Moment mal“, sagte er dann, „da war doch was ... irgendwas mit schrecklichen Kreaturen...“ Tiark und Kolpe warfen sich einen raschen Blick zu, den Jayel sehr wohl bemerkte.
„Ach, das sind Legenden“, warf Kolpe dann rasch ein. „Alte Geschichten. Wahrscheinlich purer Unsinn!“
„Soso, wahrscheinlich...“, erwiderte Kallabul, enthielt sich aber eines weiteren Kommentars.
Jayel seufzte und zuckte die Schultern: „Ach, was solls. Wir brauchen diesen blöden Kristall, und wenn das heißt, dass wir dorthin müssen, dann ist es eben so.“
„Ganz recht, Mädel, das ist der richtige Geist!“, brummte Kolpe erleichtert und klopfte der jungen
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